Warum deutsche Unternehmen keine Silicon Valley-Startups kaufen sollten
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Bild: Pexels / Yan Krukau - Lizenz |
Das Silicon Valley - Speerspitze des Fortschritts, Verkörperung technischer Disruptionen, Geburtsstätte bahnbrechender Innovationen und immerwährender Kreativität. Sich durch die Übernahme eines dort angesiedelten Startups in diese Wunderwelt einzukaufen erscheint den Managern vieler deutscher Konzerne und Mittelständler eine gute Idee zu sein, in der Realität enden diese Zukäufe allerdings meistens in Enttäuschungen. Und dass es immer wieder so kommt ist kein Zufall.
Um es vorwegzunehmen: was jetzt folgt ist anekdotische Evidenz. Ich habe einige dieser gescheiterten Silicon Valley-Expansionen selbst miterlebt, bei einigen weiteren kenne ich Menschen die dabei waren. In Summe lediglich eine niedrige zweistellige Zahl von Fällen, also Nichts was wissenschaftliche oder statistische Validität hätte. Da aber bestimmte Probleme immer wieder aufgetreten sind, glaube ich, dass es hier erkennbare (und prognostizierbare) Muster gibt.
Um mit dem Folgenschwersten (und auf den ersten Blick unglaublichsten) zu beginnen - die meisten deutschen Unternehmen sind sehr schlecht im Gestalten und Befolgen von Prozessen. Das kann bedeuten, dass es selbst für zentrale Geschäftsvorgänge keine offizielle Definition gibt (v.a. im Mittelstand anzutreffen), oder dass in Konzernen alles so überreguliert ist, dass die Mitarbeiter gezwungen sind, sich auf informelle Prozesse zurückzuziehen, um überhaupt arbeitsfähig zu sein (→ brauchbare Illegalität).1
In beiden Fällen ist das Ergebnis, dass neue Mitarbeiter die inoffiziellen, aber für das Funktionieren der Firma elementaren Prozesse erst nach und nach herausfinden müssen, da diese lediglich im kollektiven Gedächtnis festgehalten sind. In Folge dessen dauert es entsprechend lange bis sie wirklich arbeitsfähig sind - sechs bis zwölf Monate sind in grossen Unternehmen nicht ungewöhnlich. Da in Deutschland viele Angestellte jahrzehntelang in ihrer Firma bleiben, ist das aber ein eher geringes Problem.
Im Silicon Valley findet man gleichzeitig ein Muster, das mit dem zuvor genannten komplett inkompatibel ist - die meisten Angestellten bleiben weniger als zwei Jahre bei einem Arbeitgeber, viele wechseln sogar mehrmals im Jahr. Das langsame Aufbauen von Wissen über die inoffiziellen Prozesse ist daher nicht möglich, weshalb die offiziellen möglichst minimalistisch gehalten, dafür aber strikt durchgesetzt und neuen Mitarbeitern durch starke und umsetzungsnah agierende Manager vermittelt werden.
Übernimmt jetzt ein deutsches Unternehmen ein Silicon Valley-Startup, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Culture Clash: in der (unbewussten) Erwartung, dass sich die Mitarbeiter die (inoffiziellen) Prozesse mit der Zeit selbst aneignen werden, wird von den deutschen Managern ein weniger strikter Führungsstil eingeführt. Der ständig wechselnden Belegschaft fehlen damit sowohl die schnelle Einweisung in die offiziellen, als auch das langsame Erlernen der inoffiziellen Prozesse.
Die unvermeidbare Folge eines derartigen Zusammenpralls so unterschiedlicher und inkompatibler Unternehmenskulturen ist ein erstaunlich schnelles Zusammenbrechen von Abläufen und Strukturen. Innerhalb von ein bis zwei Jahren sind kaum noch Kollegen da, die Erfahrung damit haben, die Prozesse am Laufen zu halten, stattdessen sind die meisten erst seit einigen Monaten an Bord, wurden nie richtig eingearbeitet und sind dadurch nur eingeschränkt zu effektivem Arbeiten in der Lage.
Diesem rapiden Verfall des intellektuellen Kapitals folgt meistens ein genauso schneller Einbruch der Produktqualität. Marktforschung, Product Discovery, technische Exzellenz und Qualitätssicherungs-Routinen sind mit den sich auflösenden Strukturen und Prozessen nur noch eingeschränkt durchführbar, Bugs und technische Schulden häufen sich an, die Umsetzungsgeschwindigkeit sinkt und mit ihr die Wettbewerbsfähigkeit und die Marktanteile. Irgendwann kann man alles nur noch abwickeln.
Selbst wenn diese Abläufe immer wieder zu beobachten sind, sind sie natürlich kein Naturgesetz. Sind die zugrundeliegenden Muster einmal erkannt, kann man gegensteuern und eine Silicon Valley-Tochtergesellschaft auch von Deutschland aus gut führen. Voraussetzung dafür ist allerdings, sich die Unzulänglichkeit oder Lückenhaftigkeit der meisten offiziellen Prozesse einzugestehen und ihre Unbrauchbarkeit in einer Umgebung mit hoher Personalfluktuation zu erkennen. Eine hohe Hürde.