Montag, 24. März 2025

Agile Success Stories: Agile by Accident

Bild: Pexels / Moe Magners - Lizenz

Dass viele "agile Methodiker" (Agile Coaches, Scrum Master, etc.) mit der Zeit eine eher negative Weltsicht entwickeln ist schade, aber erklärbar. Wer sich ständig mit dem Beseitigen von Impediments und dem Kampf gegen Change Fatigue, Overcompliance und Konzern-Trolle beschäftigen muss, kann leicht in Frustration und Fatalismus abrutschen. Um nicht selbst in dieses Muster verfallen, möchte ich dagegenhalten, indem ich ab und zu selbst erlebte "agile Erfolgsgeschichten" veröffentliche.


Diese hier habe ich mehrfach in ähnlicher Form erlebt, aber die an die ich gerade denke, begann damit, dass ich als externer Scrum Master oder Agile Coach in eine Firma gekommen bin und dort Teams vorgefunden habe, die mir gleich zu Beginn Eines unmissverständlich klar machen wollten: dass es agiles Arbeiten bei ihnen nicht geben würde. Sie hätten das bereits versucht gehabt, es sei furchtbar gewesen und sie wären heilfroh, es zugunsten eines besseren Vorgehens  hinter sich gelassen zu haben.


Bedingt dadurch, dass ich diese Erfahrung wie gesagt bereits mehrfach gemacht habe, lasse ich mich in derartigen Situationen zunächst noch auf keine Diskussion über das zukünftige Vorgehen ein, sondern lasse mir zuerst erklären, warum der agile Arbeitsmodus als so furchtbar empfunden wurde und was den stattdessen gewählten so viel besser macht. Und es stellte sich dabei heraus, dass hier zwei aufeinander aufbauende Missverständnisse vorlagen.1


Das erste dieser Missverständnisse betraf das, was dort irgendwann mal unter dem Namen "Agile" eingeführt worden war. Mit der zugrundeliegenden Idee hatte das eher wenig zu tun, stattdessen wurden lediglich zusätzlich zu den bereits bestehenden (und z.T. unverändert gültigen) Prozessen einzelne aus Scrum oder SAFe entlehnte Meetings, Titel und Begriffe eingeführt, die aber ohne geänderte Rahmenbedingungen nichts verbessert sondern nur alles verkompliziert hatten. Cargo Cult also.


Aufbauend darauf war das zweite Missverständnis entstanden. Da "Agile" als komplizierter, unverständlicher und bürokratischer Prozess wahrgenommen wurde, hatten die Teams stattdessen ein Alternativvorgehen entwickelt, dass auf direkter Kommunikation, crossfunktionaler Zusammenarbeit, wenigen Regeln, kurzen Lieferzyklen und regelmässigen Prozessverbesserungen beruhte.2 Folgerichtig hielten sie dieses Vorgehen für nicht-agil und dem agilen Arbeiten überlegen.


Als ich auf diese beiden Missverständnisse hinwies, und darauf, dass der "nicht-agile Arbeitsmodus" in Wirklichkeit sehr agil war, waren zunächst Überraschung und Unglaube gross. Erst nachdem sich einige Teammitglieder bereiterklärten, einige der Originalquellen (Scrum Guide und Agiles Manifest) zu lesen, setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass sie die Idee falsch verstanden hatten, und durch die Abwehr der Cargo Cult-Methode "versehentlich" agil geworden waren.


Wirklich warm geworden sind sie mit dem Begriff zwar nicht mehr, dafür hatten sie sich bereits zu sehr auf ihn eingeschossen. Aber ganz ehrlich - sie waren nah am Kunden, lieferten regelmässig Mehrwert aus, passten das eigene Vorgehen regelmässig an und arbeiteten gut zusammen. Angesichts dessen war die Ablehnung des Wortes "Agil" ein Thema, das man mit gutem Gewissen vernachlässigen konnte. Wenn das Ergebnis stimmt, ist der Name des Prozesses nicht so wichtig.



1Es gab natürlich auch Fälle in denen agiles Arbeiten verstanden und trotzdem abgelehnt wurde. Das ist nochmal ein eigenenes Thema.
2Dieses selbstentwickelte Vorgehen war auch deutlich schlanker und effektiver als der ursprüngliche, "vor-agile" Prozess

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