Donnerstag, 20. Februar 2025

Bürokratie

Bild: Flickr / Queensland State Archives - Public Domain

Die Klagen über zu viel Bürokratie kennt man aus nahezu jeder grösseren Organisation, egal ob in der freien Wirtschaft, in der staatlichen Verwaltung oder bei Nichtregierungsorganisationen. Erstaunlich ist dabei aber in fast allen Fällen, dass es sich um eher unspezifische Beschwerden handelt - meistens werden nur zu viele Prozesse und Vorschriften genannt, ohne die genauer zu beschreiben. Dabei ist es durchaus möglich, diese aufzuschlüsseln, um sie deutlich klarer erkennen und ggf. beseitigen zu können.


Wichtig ist dabei, dass die offiziellen Kategorien nur eingeschränkt hilfreich sind, da es sich bei ihnen oft um Sammelbegriffe für verschiedene vorgeschriebene Tätigkeiten handelt. So kann sich z.B. hinter einer Sorgfaltspflicht oder einer Nachweispflicht alles Mögliche verbergen, mit je nach Einzelfall deutlich unterschiedlichen Auswirkungen. Eine differenzierte Betrachtung macht daher Sinn, und mit ihr kommt man zu dieser (sicherlich unvollständigen) Liste bürokratiefördernder Vorgaben:


Durchführungspflichten

Hier geht es darum, wer was zu tun hat und in welcher Reihenfolge der Arbeitsschritte. Das kann abstrakt sein, wie bei der Vorgabe eines Vier-Augen-Prinzips, aber auch komplizierte vorgegebene Abläufe umfassen, z.B. bei der Wartung einer Maschine.


Informierungspflichten

Aufbauend auf den Durchführungspflichten geht es als nächstes darum, andere über das was man selbst getan hat (oder vorhat) in Kenntnis zu setzen. Detailgrad und Empfänger können dabei je nach Fall unterschiedlich sein, wichtig ist, dass irgendjemand informiert worden ist.


Begründungspflichten

Bereits etwas einengender. Es reicht nicht mehr, zu berichten, was man getan hat oder vorhat, es muss auch klar werden, aus welcher Motivation heraus das geschieht, mit welchem Ziel oder auf wessen Anweisung. Eine häufige Erweiterung ist die Begründung für den Durchführungszeitpunkt.


Dokumentationspflichten

Die Formalisierung der Informierungspflichten. Der Kommunikationskanal zur Übermittlung der Informationen ist nicht mehr frei wählbar sondern vorgegeben, am häufigsten ist dabei die Vorgabe der Schriftform (ggf. verstärkt durch die Pflicht zur persönlichen Identifikation durch Unterschreiben).


Formatierungspflichten

In gewisser Weise die Formalisierung der Formalisierung. Es reicht nicht mehr, in irgendeiner Form die Informationen über die eigenen Handlungen zu übermitteln, auch die Struktur dieser Information wird jetzt vorgegeben, z.B. in Form einer Tabelle oder eines Formulars.


Nutzungspflichten

Die Vorgabe von Arbeitswerkzeugen. Das können physische Werkzeuge sein, digitale Werkzeuge aber auch bestimmte Räumlichkeiten, in denen Arbeit verrichtet werden muss. Eine noch immer erstaunlich häufige Extremform ist die an den hierarchischen Rang gekoppelte Vorgabe der Tintenfarbe.


Unterlassungspflichten

Das Spiegelbild der Nutzungspflichten. In einer restriktiven Variante ist alles zu unterlassen, was nicht explizit zur Nutzung vorgegeben ist, in einer offeneren Variante sind nur solche Handlungen zu unterlassen, die explizit verboten werden. Beides kann aber ggf. zu Handlungsunfähigkeit führen.


Anhörungspflichten

Während die zuvor genannten Pflichten eine Person oder Organisationseinheit selbst betreffen, werden jetzt andere einbezogen, die ein Recht darauf haben, ihre Meinung zu den Sachverhalten abzugeben, über die sie informiert wurden (ggf. mit der Erweiterung, dass diese festzuhalten ist).


Beteiligungspflichten

Mit dieser Stufe ist das Mitwirken Anderer nicht mehr optional und auf die Meinungs- oder Bewertungsabgabe beschränkt, sondern verpflichtend und in die Arbeitsabläufe fest eingebunden, z.B. in Form einer Zulieferung oder Qualitätssicherung.


Kenntnisnahmepflichten

Das Gegenstück zu den Informierungspflichten. Wer auch immer Informiert wird darf das nicht einfach ignorieren, sondern ist verpflichtet, es selbstverantwortlich zur Kenntnis zu nehmen und von sich aus zu reagieren, wenn er angehört oder beteiligt werden will.


Überprüfungspflichten

Die Steigerung der Kenntnisnahmepflichten. Übermittelte Informationen müssen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auf ihre Richtigkeit und ggf. Angemessenheit überprüft werden, einschliesslich einer Rückmeldung, wenn eines davon nicht gegeben sein sollte.


Genehmigungspflichten

Die Formalisierung und Generalisierung der Überprüfungspflichten. Übermittelte Informationen müssen nicht mehr nur zur Kenntnis genommen und ggf. überprüft werden, ohne eine auf dieser Überprüfung beruhende Freigabe darf der jeweilige Arbeitsvorgang nicht fortgesetzt werden.


Rechtfertigungspflichten

Spätestens an dieser Stelle wird es unangenehm. Wenn ein Überprüfungs- oder Genehmigungsprozess zu einem negativen Ergebnis führt, ist zu erklären, durch welche Fehler oder Nachlässigkeiten es überhaupt dazu kommen konnte.


Qualifizierungspflichten

Sowohl als Folge von Überprüfungs- oder Genehmigungsprozessen oder vorbeugend kann es sein, dass bestimmte Ausbildungen oder Schulungen verpflichtend vorgegeben werden, in der Regel vermunden mit der Pflicht zum Nachweis der Teilnahme oder des Bestehens einer Prüfung.


Weiterbildungspflichten

Die Verstetigung der Qualifizierungspflichten. Es reicht nicht mehr aus, Ausbildungen oder Schulungen einmal zu durchlaufen, es muss darüber hinaus in regelmässigen Abständen zu Wiederholungen, Auffrischungen, Erweiterungen oder Resensibilisierungen komen.


Stellenbesetzungspflichten

Eine Konsequenz aus den zuvor genannten Pflichten. Um ihre Erfüllung mit der nötigen Kapazität, Qualifikation und Aufgabenteilung durchführen zu können, sind Planstellen notwendig. Eigentlich nur ein Symptom der Bürokratisierung, selbst wenn es oft selbst für Bürokratie gehalten wird.


Wie oben gesagt, diese Auflistung ist sicher noch unvollständig, dass die Befolgung aller dieser Pflichten in erheblichem Ausmass zu Bürokratie im Sinn von formalisierter, nicht Mehrwert schöpfender Verwaltungsarbeit führen kann (und meistens auch führen muss), dürfte aber offensichtlich sein. Und trotzdem ist es so, dass sie alle in jeder grösseren Organisation anzutreffen sind (wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung).


Dass das so ist, liegt daran, dass keine dieser Vorgaben komplett unsinnig ist, in jeder von ihnen wird man einen Kern von Sinnhaftgkeit finden können, schliesslich erfüllt Bürokratie durchaus einen Zweck. Es kann also kein Ziel sein, sie (oder die ihr zu Grunde liegenden Pflichten) komplett abzuschaffen. Stattdessen muss es darum gehen, die Bürokratie auf das sinnvolle Mindestmass zu beschränken - im Zweifel durch regelmässige Evaluierung und Justierung.


Und jetzt kommt es: um Evaluierung und Justierung durchführen zu können, sind wieder einige der oben genannten Pflichten notwendig, selbst wenn auch diese zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad bürokratisch sein müssen Die finale Pointe lautet also - um Bürokratie zu bekämpfen, braucht man noch mehr Bürokratie.

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