Montag, 6. Januar 2025

PMI goes Agile (III) - and the Agile Alliance goes PMI

Screenshot: agilealliance.org

Wer sich als Mitglied der agilen Bewegung am ersten Januar-Wochenende des Jahres 2025 in die sozialen Medien begeben hat, der wird an einem Thema nicht vorbeigekommen sein: dem Beitritt der Agile Alliance zum Project Management Institute (PMI), verbunden mit den üblichen Schnellschuss-Kommentaren (Agile is dead, PMI wird jetzt agil, etc.). Die kann man bedenkenlos ignorieren, die Frage aber bleibt - was ist da eigentlich passiert? Gehen wir die wichtigsten Punkte durch.


Wer sind Agile Alliance und PMI?

Bei beiden handelt es sich um Berufsverbände, denen sowohl Einzelpersonen als auch andere Organisationen angehören können. Das PMI wurde bereits 1969 gegründet und hat als Ziel die Entwicklung von Best Practices im klassischen Projektmanagement, wozu es auch mehrere Zertifizierungen vergibt. Die Agile Alliance besteht erst seit 2001 und hat das gleiche Ziel, wenn auch mit einem deutlich schärferen Fokus, der naheliegenderweise auf den agilen Methoden und Praktiken liegt.


Wie genau sieht der Beitritt aus?

Einseitig. Die Agile Alliance ändert ihren Namen in "PMI Agile Alliance", Vorstand und Stabsstellen der Agile Alliance welchseln zum Project Management Institute und wie aus den Informationsmails an die Mitglieder der Agile Alliance hervorgeht, werden die bisherigen Initiativen zukünftig "with PMI’s  infrastructure and strategic oversight" weitergeführt. Wie auch immer das konkret aussehen wird, ein Zusammenschluss auf Augenhöhe ist es nicht.


Warum führt dieses Zusammengehen in der agilen Community zu vielen heftigen Reaktionen?

Zunächst, weil die Agile Alliance die agile Bewegung massgeblich gestaltet hat. De facto fand ihre Gründung am selben Tag und Ort statt wie die Verfassung des Manifest für agile Softwareentwicklung, dessen Verfasser sich direkt im Anschluss diesen Namen gaben.1 Während der ersten Jahre war die Agile Alliance damit der einzige agile Berufsverband und ihre Konferenz (die einfach Agile + Jahreszahl heisst, z.B. Agile 2025) die einzige agile Konferenz. Sie hat also eine historisch bedingte hohe Symbolik.


Ausserdem weil viele Mitglieder der agilen Bewegung sich als Teil eines bewussten Gegenentwurfs zum traditionellen Projektmanagement verstehen, und gleichzeitig im PMI die Verkörperung all dessen sehen, was sie ablehnen: schwergewichtige Strukturen und Prozesse, zahlreiche Anleitungen und Vorschriften, umfangreiche Dokumentationspflichten, etc. Der Beitritt der Agile Alliance zum PMI fühlt sich für diese Menschen wie ein Verrat, bzw. eine feindliche Übernahme an.


Zuletzt war die Agile Alliance die einzige grössere unter den nach und nach entstehenden agilen Branchenorganisationen, die sich der Kommerzialisierung durch den Verkauf von Zertifizierungen verweigert hat, bzw. darauf bestanden hat, dass diese nicht nur auf Wissensprüfungen sondern vor allem auf Praxiserfahrungen beruhen müssten.2 Vor diesem Hintergrund ist das Zusammengehen mit dem PMI, das ausschliesslich wissensbasierte Zertifizierungen anbietet, nochmal kontroverser.


Warum findet es dann statt?

Vereinfacht gesagt: weil die Agile Alliance pleite ist. Mit der Zeit hat sie einen immer grösseren Kostenapparat entwickelt, der von Hosting-Kosten bis hin zu Reisekostenerstattungen alles Mögliche umfasst. Wie man bei den Mitgründern Mike Cohn und Ron Jeffries nachlesen kann, haben die Mitgliedbeiträge nie gereicht um das zu decken. Das ging nur über die Einnahmen aus der Konferenz, die durch Covid-Pandemie und Wirtschaftskrisen eingebrochen sind.3 Es ist also eine Sanierungsfusion.


Wie schlimm ist das alles?

Je nach Betrachtungsweise sehr bis gar nicht. Dass das PMI jetzt die "agile Ur-Organisation" absorbieren und ggf. in Teilen (z.B. bei den Zertifikaten) in ihr Gegenteil verkehren könnte, ist von einem nostalgischen Blickpunkt aus natürlich eine besorgniserregende Perspektive. Andererseits hat PMI bereits viele agile Inhalte übernommen, nicht nur durch den Kauf der Disciplined Agile-Zertifizierungs-Organisation, sondern auch durch eine Anpassung der eigenen Inhalte. Es gibt also Schnittmengen.


Über die Agile Alliance muss man gleichzeitig auch sagen, dass sie zwar zu den aufrechten Bewahrern der ursprünglichen Praxis- und IT-nahen agilen Prinzipien und Praktiken gehört, es aber nicht geschafft hat, sich ihre ursprüngliche Bedeutung zu bewahren (ironischerweise auch wegen ihrer Kommerzialisierungs-Veigerung, während z.B. die Scrum Alliance durch Zertifizierungen gross und reich wurde). Die heutige Mehrheit der weltweiten Agile Coaches und Scrum Master dürfte noch nichtmal von ihr gehört haben.


Und zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass die Agile Alliance der agilen Bewegung schon lange keine neuen relevanten Impulse mehr geben konnte. Gerade in den letzten Jahren hat sich stattdessen eher der Sog der Addition bemerkbar gemacht - auf einmal gab es hier Initiativen, die für den Umweltschutz oder gegen den Rassismus kämpfen wollten. Sehr ehrenhaft, aber für einen IT- und Projektmanagement-Fachverband etwas abwegige Themen. Teile der Kern-Klientel hat das eher abgeschreckt.4


Und jetzt?

Und jetzt warten wir ab was passiert. Der grosse Gewinner der ganzen Geschichte ist das Project Management Institute, das ab jetzt den eigenen (halb-)agilen Anzatz mit einer Tradition legitimieren kann, die sich lückenlos bis zum Manifest für agile Softwareentwicklung zurückverfolgen lässt. Ob man die Agile Alliance irgendwie weiterbestehen lässt, sie ins eigentliche PMI absorbiert oder versucht sie mit dem eigenen Zertifizierungs-Brand Disciplined Agile zu verschmelzen wird sich noch zeigen.


Und für alle, die nicht in einer der beiden Organisationen Mitglied sind, und die kein gesteigertes Interesse an der Geschichte der agilen Bewegung oder des IT-nahen Projektmanagement-Verbandswesens haben, gilt: bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts Interessantes zu sehen, ausser einem Sturm im Wasserglas.



1De jure fand die Gründung erst etwas später statt, durch die entsprechenden Anmeldungs- und Registrierungsvorgänge
2solche Zertifizierungen haben sich im agilen Bereich nie etabliert und wären vermutlich auch nie ein Business Case geworden
3Anscheinend hat die Agile Alliance für ihre Konferenz auch langfristige Verträge abgeschlossen, aus denen sie nicht herauskommt
4Auf Linkedin waren nach der Bekanntgabe des Zusammengehens viele Beiträge mit diesem Tenor zu lesen

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