Donnerstag, 14. November 2024

Welches SAFe darfs denn sein?

Dass es von jedem agilen Framework in der Realität sehr unterschiedliche Ausprägungen gibt, dürfte jeder wissen, der verschiedene agil arbeitende Unternehmen gesehen hat. Zu den Gründen dafür gehört zum einen ein bewusst offen gelassener Gestaltungsspielraum, zum anderen aber auch versehentliche oder absichtliche Verfremdungen der ursprünglichen Idee. Das trifft auf Scrum zu, auf Kanban, auf OKRs, aber auch auf das Scaled Agile Framework (SAFe).


SAFe ist dabei aber in einem Aspekt deutlich anders als die anderen Frameworks: während sich deren Variantenvielfalt u.a. daraus ergibt, dass sie sich in einem Spannungsfeld zwischen einem praxisnahen Graswurzel-Ursprung und einer später entstandenen starken Kommerzielisierung bewegen, ist SAFe bereits in seinen Ursprüngen kommerziell angelegt. Sämtliche seiner Varianten sind dadurch Teil des Beratungs- und Zertifizierungs-getriebenen agil-industriellen Komplexes.1 Hier sind sie:


The Little Agile Release Train

Die vielleicht häufigste Variante, wenn auch oft mit anders benannten Namen und Rollen.2 Drei bis zehn Teams arbeiten in synchronisierten Sprint-Rhythmen, es gibt eine übergreifende Quartalsplanung und oberhalb der Product Owner und Scrum Master einen Produktmanager / Chief Product Owner und Release Train Engineer / Chief Scrum Master, der ihnen jeweils übergeordnet ist. Für sich genommen eine noch relativ schlanke, agile und halbwegs unbürokratische SAFe-Umsetzung.


The Feature Factory

Die Grössenordnung, die die Aussenwahrnehmung von SAFe am stärksten prägt. Ab einer Größe von mehr als zehn Teams ist ein Release Train nicht mehr ausreichend, es werden mehrere parallel zueinander eingerichtet, über denen dann eine zusätzliche Hierarchieebene mit einem Solution Manager und einem Solution Train Engineer entsteht. Feedback-Schleifen und Nähe zwischen Entwicklern und Anwendern sind nur noch schwer möglich, es werden vor allem Feature Requests abgearbeitet.


Disruptive SAFe

Während der einzelne Release Train und die Feature Factory die alten Strukturen einer Firma noch weitgehend unangetastet lassen, hat SAFe einige optionale Elemente, deren Anwendung einiges durcheinanderwerfen würde, z.B. die Koppelung der Budgetierung an Teams statt an Features oder die Ausrichtung der Planungen an Value Streams statt an Roadmaps. Aus einer "agilen Perspektive" sehr wünschenswert, kommt aber in der Realität nur sehr selten vor.


Absorbed SAFe

Dort, wo (warum auch immer) alles in einem einzigen, grossen agilen Framework organisiert werden soll, die Auswirkungen von disruptivem Safe den Verantwortlichen aber zu weit gehen, ist es eine häufige Reaktion, so lange Anpassungen vorzunehmen, bis zentrale Elemente des bisherigen Vorgehens nicht mehr angetastet werden. Das Ergebnis können Hybrid-Frameworks wie SpotiSAFe sein, ggf. aber auch einfach eine Erweiterung oder Beschneidung des SAFe-Umfangs an entscheidenden Stellen.


Post-SAFe

Mittlerweile erstaunlich häufig anzutreffen sind Unternehmen, die sich irgendwann entschlossen haben, nicht mehr nach SAFe zu arbeiten, da die damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllt werden konnten. Mitunter werden aber einzelne funktionierende Elemente beibehalten, z.B. das PI Planning oder die Rolle des Release Train Engineers. Man erkennt durch sie noch, dass SAFe hier einmal im Einsatz gewesen ist, der aktuelle Zustand hat aber nur noch eingeschränkt damit zu tun.


Und viele mehr ...

Wie immer bei solchen Aufzählungen ist auch diese hier nicht vollständig, in den Unternehmen dieser Welt kann man mit Sicherheit noch weitere SAFe-Varianten finden. Wichtig ist an dieser Stelle vor allem die zentrale Botschaft: es gibt verschiedene Ausprägungen dieses Frameworks, die sich z.T. sehr deutlich voneinander unterscheiden, wodurch es viel weniger eindeutig und einheitlich ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.


Völlig losgelöst von diese Betrachtung bleibt übrigens die Frage, ob man SAFe mag und ob man es überhaupt für ein agiles Framework im Sinn des Manifests für agile Softwareentwicklung hält. Das kann jeder für sich entscheiden.



1Ob dieser Text hier Meinungsäusserungen enthält? Bestimmt. Und es kommen noch weitere.
2Bei abweichenden Benennungen ist nicht immer klar erkennbar, ob hier SAFe die ursprüngliche, später begrifflich angepasste Idee war, oder ob es durch Einbringung von SAFe-Elementen in LeSS, Nexus oder Scrum@Scale-Umsetzungen zu diesen Ergebnissen gekommen ist.

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