Tight Loose Tight
Eine der Besonderheiten der agilen Community sind die "Insider-Hypes", die von Zeit zu Zeit aufkommen. Es handelt sich dabei um in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannte Frameworks, Praktiken und Methoden, die unter Agile Coaches und Scrum Mastern aber eine Zeit lang als "heisser Geheimtip" gelten, bevor sie irgendwann wieder in der Versenkung verschwinden. Einer dieser Insider-Hypes der letzten Jahre ist ein Management-Framework namens Tight Loose Tight.
Für einen Hype ist Tight Loose Tight dabei relativ alt, es wurde bereits um das Jahr 2000 herum von der amerikanischen Unternehmensberatung Mercer Delta erfunden (siehe hier). Formalisiert und popularisiert wurde es dann ab ca 2010 von dem Norweger Rune Ulvnes, was mittlerweile zu dem verbreiteten Missverständnis geführt hat, es handele sich um eine "Führungsmethode aus Norwegen". Aber unabhängig von ihrem Ursprung - was ist das eigentlich?
Liz Guthridge, eine Unternehmensberaterin, die den Ansatz schon vor über 20 Jahren bei Mercer Delta kennengelernt hat, beschreibt seine drei Bestandteile so:
- Tight for purpose and goals: The organization’s executive team set the purpose and goals and tightly controlled them.
- Loose for execution: The business units and functions had autonomy in how they implemented and delivered on the goals, often under resource constraints from the executive team.
- Tight for results: The executive team also defined and measured the results they expected.
Oder mit anderen Worten: einer klaren Zielsetzung folgt eine möglichst grosse Freiheit bei der Umsetzung, gefolgt von einer genauen (und möglichst empirischen) Überprüfung, ob das Ergebnis tatsächlich erreicht wurde. Tight steht dabei für enge Führung, Loose für Delegation und Autonomie.
Rune Ulvnes hat diese Grundstruktur weitgehend übernommen, ihr aber zusätzliche Elemente hinzugefügt. Die Execution-Phase ist bei ihm nochmal unterteilt in Sprints von ein bis vier Wochen, und nach ihnen erfolgt jeweils Feedback zu Umsetzbarkeit, Zielgruppenakzeptanz und anderen Aspekten an das Management, das basierend darauf seine Zielsetzungen anpassen kann. Die Anlehnung an Scrum mit seinen Sprints, Sprint Reviews und Retrospektiven ist hier sehr offensichtlich.
Was ausserdem zur "norwegischen Variante" gehört ist eine Einordnung in ein Raster, in dem anhand der beiden Variablen der Verantwortungs-Delegation und der Arbeitsteiligkeit vier Extremtypen identifizierbar sind: das Steve Jobs-artige Genie mit dem Führungsstil tight tight tight, die nur auf Ressorcen-Optimierung konditionierte Führung mit dem Stil loose tight loose, die Feature Factory mit dem Führungsstil loose loose loose und ein agiles Vorgehen mit dem Führungsstil tight loose tight.
Jede dieser Zuordnungen kann zwar für sich genommen kritisch hinterfragt werden, löst man sich aber von den (in diesem Zusammenhang z.T. nicht unproblematischen) Begrifflichkeiten, kann das Raster ein durchaus sinnvolles Werkzeug sein, anhand dessen man sowohl eine Analyse des Ist-Zustandes als auch eine kontinuierliche Überprüfung der Bewegung zum angestrebten Zielzustand (in diesem Fall in der rechten oberen Ecke) durchführen kann.
Wie so oft bei derartigen Denkmodellen kann die Bewertung weit auseinandergehen, von "ein Augenöffner" bis hin zu "ist doch total banal" habe ich über Tight Loose Tight schon alles Mögliche gehört. Ich würde es aber so sehen: wem das Ganze nichts bringt, der kann es ignorieren, wem es hilft, der kann es benutzen. Und wer in der agilen Community an seinem Status als Thought Leader arbeiten will, der kann auf diesen Insider-Hype aufspringen, und damit sogar Anderen etwas Gutes tun. Also nur zu.