Montag, 13. Mai 2024

Das agile Mindset (II)

Bild: Pexels / Yan Krukau - Lizenz

Ein Hoch auf die Wissenschaft! Diesesmal in Person von Karen Eilers, die an der Universität Kassel eine Wirtschaftsinformatik-Dissertation mit dem klangvollen Titel The Agile Mindset – Why it Matters, What it is, and How to Measure it verfasst hat. Was sie in diesem Rahmen an Erkenntnissen gewinnen konnte und wie sie diese zusammengetragen hat, hat sie in einem ausführlichen Gespräch in dem Podcast Agile World News erzählt.



An dem hier beschriebenen Ansatz gibt es einiges, das ich bemerkenswert finde, bereits angefangen damit, dass versucht wird dem Begriff "Mindset" seine Unschärfe zu nehmen. Es wird anerkannt, dass er sehr offen interpretiert werden kann und sehr unklar zu anderen Begriffen wie "Einstellung", "Haltung" und "Mentalität" abgegrenzt ist. Die hier gewählte Definition mag vielleicht nicht jeder teilen, aber zumindest gibt es hier eine. Eine sachliche Diskussion wird dadurch überhaupt erst möglich.


Ebenfalls erwähnenswert finde ich, dass das agile Mindset (Vorhandensein, Ausprägungen, etc.) in diesem Ansatz nicht mehr etwas ist, dass von aussen durch Zuschreibung oder "Diagnose" entsteht (was dort wo man es versucht fast zwangsläufig zu übergriffigem Verhalten führt). Stattdessen wird davon ausgegangen, dass es bei allen agil arbeitenden Menschen irgendwie vorhanden ist und nur noch durch Empirie identifiziert werden muss (vereinfacht gesagt: was oft genannt wird gehört dazu).


Die vier Themengebiete, die in der Dissertation am häufigsten identifiziert wurden und die in ihr daher als typisch oder konstituierend für ein agiles Mindset gelten, sind Lern-Orientierung, kollaboratives Arbeiten, Co-Creation mit den Kunden und Selbstorganisation. Das klingt passend zu dem Arbeitsmodus, den man meistens unter der Bezeichnung "agil" vorfindet, ist aber auch darüber hinaus spannend: letztendlich handelt es sich um eine Selbstbeschreibung (und damit Selbstwahrnehmung) der agilen Community.


Lern-Orientierung

Wenig erstaunlich. Lernorientierung ist u.a. das, was man in agilen Teams auch als Growth Mindset bezeichnen würde, also die Anerkennung der Tatsache nicht alles zu wissen, die Bereitschaft sich neues Wissen anzueignen, z.B. in Reviews, Retrospektiven, etc.


Kollaboratives Arbeiten

Ebenfalls erwartbar, da in den meisten agilen Teams Teil der täglichen Arbeit: gemeinsame Meetings, gemeinsame Arbeit an Anforderungen und ähnliche Praktiken beseitigen Kopfmonopole und Flaschenhälse und machen so den Arbeitsfluss schneller und resilienter.


Co-Creation mit den Kunden

Spannend, da hier etwas (aus meiner Sicht richtigerweise) als wesentlich beschrieben wird, was in der Realität oft nur eingeschränkt stattfinden kann. Hier könnte weitergeforscht werden, ob das Wunsch oder Wirklichkeit ist (vor allem in grossen Organisationen werden oft Kunde und Auftraggeber verwechselt).


Selbstorganisation

Ebenfalls ein wichtiges und richtiges Thema, bei dem ein tieferes Erforschen interessant wäre. Obwohl sich tatsächlich praktisch alle agil arbeitenden Teams als selbstorganisiert bezeichnen dürften, sind das Verständnis dieses Begriffs und die Ausgestaltung in der Realität extrem vielfältig.


Über diese ersten Einordnungsversuche hinaus ist für mich noch etwas weiteres auffällig: die vier identifizierten Kernbereiche sind sehr stark auf den Ebenen der Einzelpersonen und der sozialen Beziehungen in Umsetzungsteams angesiedelt. Die Aspekte der technischen Agilität aus DevOps, XP, etc. und der wirtschaftsnahen Business-Agilität kommen nicht vor, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass vor allem Scrum Master (o.Ä.) und nur wenige Entwickler und Manager befragt wurden.


Die Arbeit bietet also einiges an Erkenntnissen, aber auch einiges an weiteren Forschungspotentialen und Denkanstössen. Es ist zu hoffen, dass diese Themen in Kassel und anderswo weitergeführt werden, so dass sich die Diskussion um das agile Mindset weg von starken Meinungen und hin zu gesicherten Ergebnissen bewegen kann. Denn auch das ist etwas, was für mich zu einem agilen Mindset gehören sollte: der Drang, empiriebasiert zu arbeiten.

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