Aufklärung
Bild: Wikimedia Commons / Emil Doerstling - Public Domain |
Man soll ja die Feste feiern wie sie fallen, daher an dieser Stelle herzliche Glückwünsche an Immanuel Kant zum 300. Geburtstag. Wie jeder andere Europäer und Amerikaner sind wir bewusst oder unbewusst von seinem Wirken geprägt, z.B. in unserer Arbeit in der agilen Produktentwicklung durch seine Erkenntnistheorie. Um den Rahmen nicht zu sprengen möchte ich mich aber heute auf etwas Kleineres beschränken: mein Kant-Lieblingszitat, gefunden in seinem Artikel Was ist Aufklärung?:
Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.Immanuel Kant: Was ist Aufklärung?, S.9
Was Kant damit meint ist, dass die Benennung der Zeit, in der er lebte, als Aufklärung keineswegs bedeutete, dass objektives, rationales Denken sich allgemein durchgesetzt hatte und Unwissen und Falschannahmen der Vergangenheit angehörten. Stattdessen war es für ihn lediglich so, dass den Menschen die Möglichkeit eröffnet wurde, sich Objektivität und Rationalität zu erarbeiten. Dieser dauerhafte Erarbeitungs-Prozess war für ihn Aufklärung.
Wer möchte kann hierin Parallelen zu der Arbeit der heutigen (agilen) Unternehmensberater, Agile Coaches und Scrum Master erkennen. Auch am Anfang unserer Arbeit steht in der Regel ein Unwissen über Systeme, Befindlichkeiten und Dynamiken, auch wir versuchen durch Datengetriebenheit und Empirie Licht in dieses Dunkel zu bringen,1 und auch uns ist (hoffentlich) bewusst, dass diese Aufgabe kaum durch uns final abschliessbar ist.
Diese Erkenntnis kollidiert natürlich immer wieder mit dem verständlichen Wunsch unserer beruflichen Umgebung, irgendwann mit den Veränderungen fertig zu sein, um "wieder in Ruhe arbeiten zu können". Zu vermitteln, dass das praktisch nicht möglich ist, und dass die Entdeckung und Untersuchung immer neuer Probleme und die Validierung immer neuer Lösungen von Dauer sein müssen, ist einer der anspruchsvollsten Teile unseres Berufs.
Ob die Berufung auf Kant bei der Vermittlung dieser Erkenntnis von Nutzen ist, sei dahingestellt, je nach Kontext wird die Antwort eine andere sein. Für jeden, der sich mit Geistes- oder Philosophiegeschichte beschäftigt hat, mag es aber ein schöner Gedanke sein, dass wir in gewisser Weise das weiterführen, was Kant und seine Zeitgenossen begonnen haben. Und dass seine Gedanken in uns weiterleben ist sicher auch ein passendes Geburtstagsgeschenk für ihn.