Vollständige Tätigkeit
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Ein Hoch auf die Wissenschaft! Diesesmal sind es Arbeits- und Organisationspsychologen der Universität Halle, die eine verbreitete Annahme überprüft haben, so dass man diese jetzt auf der Basis valider Empirie vertreten kann. Die Rede ist von End-to-End-Verantwortung, oder "Vollständiger Tätigkeit", wie sie hier genannt wird, und von den Auswirkungen, die diese Art von ganzheitlicher Beschäftigung mit einem Thema auf Menschen haben kann.
Das Konstrukt der „vollständigen Tätigkeit“ als Ziel guter Arbeitsgestaltung heisst der Forschungsbericht, der auf Basis von 800 Betrachtungen und Interviews entstanden ist, durchgeführt mit Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen. In dieser Forschung wurde überprüft, welche so genannten Beanspruchungsfolgen (vereinfacht gesagt Auswirkungen auf die Psyche) unterschiedliche Ausmasse der Verantwortung über die eigene Tätigkeit haben (siehe auch hier).
Ein erstes Ergebnis ist, dass "unvollständige Tätigkeiten", die jeweils nur einen Teil einer Wertschöpfung umfassen, eher zu negativen als zu positiven Beanspruchungsfolgen führen. Da in diesem Vorgehen zahlreiche Abhängigkeiten zu anderen Gruppen bestehen, empfand die Mehrheit der untersuchten Personen ständigen Zeitdruck, der Versuch allen Abhängigkeiten gerecht zu werden führte ausserdem zu ständigen Kontextwechseln und Unterbrechungen. Insgesamt entstanden Ineffektivität und Ineffizienz.
Umgekehrt führten "vollständige Tätigkeiten", die grosse Teil der Wertschöpfung umfassen, eher zu positiven als zu negativen Beanspruchungsfolgen. Das in diesem Vorgehen mögliche eigenständige Zielsetzen, Planen und Kontrollieren führte bei der Mehrheit der untersuchten Personen zu mehr Engagement, Zufriedenheit und Commitment, was sich in Form von gesteigerter Kreativität und Effizienz auch auf die Arbeitsleistung auswirkte.
Eine wichtige Differenzierung ergab sich dabei durch das Ausmass der kognitiven Beanspruchung, die durch die jeweiligen Anforderungen des End-to-End-verantwortlichen Arbeitens entstand. Wurde dieses als zu hoch empfunden, konnte es auch bei "vollständigen Tätigkeiten" zu eher negativen als positiven Beanspruchungsfolgen kommen, da dann erneut negative Treiber wie Zeitdruck und Stress auftreten können (zwar aus anderen Gründen, aber mit den selben Folgen).
Übertragen auf die Gestaltung beruflicher Stellen bedeutet dass, dass sich diese idealerweise in der Mitte eines Spannungsfeldes zwischen möglichst umfassender Verantwortung und noch bewältigbarer kognitiver Belastung befinden sollten (wobei diese "Mitte" in den meisten Fällen eher ein beweglicher als ein fixer Punkt sein dürfte). "Agile Praktiken" wie das Pull-Prinzip, Inspect & Adapt und das Automatisieren repetitiver Tätigkeiten könnten bei dieser Gestaltung wesentliche Erfolgsfaktoren sein.