Conway's Coaching
Bild: Freerangestock / Rawpixel - License |
Wenn sich Unternehmen einmal darauf eingelassen haben, ihren Mitarbeitern Coaches zur Seite zu stellen, kommt es immer wieder in der Folgezeit zu Ausdifferenzierungen dieser Rolle. In der Regel durch ein Präfix gekennzeichnet, entwickeln sich "Spezialisten-Coaches" für bestimmte Themengebiete, vom Quality Coach über den DevOps Coach bis zum Leadership Coach kann alles Mögliche dabei sein. Das ist auch erstmal ok, wie so oft kann man bei näherer Betrachtung aber Erstaunliches erkennen.
Viele der verschiedenen ausdifferenzierten Coach-Rollen werden weniger aufgrund von Nachfrage, Unternehmensstrategie oder sonstigen übergreifenden Notwendigkeiten und Zielen definiert, sondern aufgrund eines ganz anderen Kriteriums: der Organisationsstruktur. Sie werden innerhalb der vorhandenen Bereiche oder Abteilungen aufgebaut, deren Themengebiet dadurch auch zu ihrem Coaching-Gebiet wird. Zum Beispiel ist der Quality Coach in der Regel Teil einer Quality Assurance-Einheit.
Das ist zunächst einmal weder gut noch schlecht, und auch nicht ungewöhnlich. Die Tendenz, dass Organisationen ihre Organisationsstruktur auf alles mögliche übertragen ist so verbreitet, dass dieses Phänomen sogar als "Gesetzmässigkeit" formuliert wurde, Conways Law. Ihm zufolge ist diese Übertragung sogar zwangläufig und findet praktisch jedes mal statt, wenn neue Systeme (vor allem technischer, aber auch sozialer Art) erschaffen werden.
Was diese "Gesetzmässigkeit" problematisch macht, ist, dass eine anhand der Organisationsstruktur vorgemommene Aufteilung nicht immer den gegebenen Notwendigkeiten entspricht, und ihnen mitunter sogar zuwiederläuft. Statt zusammengehörende Aspekte gemeinsam zu betrachten und basierend darauf zu entscheiden, welcher von ihnen den grössten Handlungsbedarf (bzw. in diesem Fall Coaching-Bedarf) hat, verengt sich der (Coaching-)Fokus unverhältnismässig stark auf einen Teilbereich.
Wer solche Konstellationen erlebt hat, wird es vermutlich kennen: der Product Coach hilft den Product Ownern bei Roadmaps und Kunden-Interaktionen, lenkt die Aufmerksamkeit seiner Coachees aber selten auf technische Probleme. Der Agile Coach dringt auf regelmässige Auslieferung, selbst wenn der Release-Zyklus durch eine jährliche Leitmesse vorgegeben ist, der QA Coach fördert durch seine ausschliessliche Arbeit mit den Testern unbewusst deren Separierung von den Entwicklern, etc. etc.
Wird diese Entwicklung erkannt, ist es ein häufiger Reflex, alle Coaches in zentralen Einheiten, oft "Coach Pool" genannt, zusammenzuziehen, die z.B. in HR oder Change Management verortet sind. Das scheint zunächst sinnvoll, da Gesamtsicht und Gesamtzuständigkeit entstehen, kann aber auch wieder in Conway's Law enden, da die jetzt übergeordnete zentrale Einheit ebenfalls Partikularinteressen hat, die den übergreifenden Unternehmenszielen ggf. nicht entsprechen.1
Ebenfalls zu beachten ist, dass es auch sinnvolle Erwägungen gibt, die dazu führen, dass Conway's Law auch bei der Definition spezialisierter Coaching-Rollen stattfindet. In Fach- oder Spezialisten-Abteilungen verortete Coaches können bei ihrer Ausbildung und Weiterentwicklung von der hier vorhandenen Expertise profitieren, die in einer zentralen, organisationsübergreifenden Einheit naturgemäss nur schwach ausgeprägt sein kann.
Aus meiner Erfahrung ist ein anderer Weg besser: die "Spezialisten-Coaches" verbleiben zwar zum Zweck des Expertise-Aufbaus in ihren ursprünglichen Einheiten, sie bilden aber organisationsübergreifend eine Querschnittsorganisation, in der Einsatzplanung, Austausch, Abstimmung und das Setzen von gemeinsamen Standards stattfinden können, mit dem Ziel, dass trotz Spezialisierung eine Einheits-übergreifende Sicht auf die Gesamtorganisation und ihre Bedürfnisse und Notwendigkeiten möglich ist.
Wichtig dabei: wir sprechen immer noch von ausdifferenzierten Rollen, wie Quality Coach, DevOps Coach, etc. Bei Team Coaches mit fester Teambindung kann eine stärkere lokale Verankerung Sinn machen, das wäre aber nochmal ein eigenes Thema.