Warum so viele Manager?
Bild: Gottscho-Schleisner / Library of Congress - Public Domain |
Eine der Nachrichten, die in letzter Zeit für Aufmerksamkeit gesorgt haben, ist der bevorstehende Stellenabbau bei Bayer. Nicht nur wegen der verlorenen Arbeitsplätze, sondern auch wegen einer in diesem Zusammenhang veröffentlichten Zahl: 17.000 von 100.000 Mitarbeitern arbeiten dort im Management, also fast jeder fünfte. Mehrfach habe ich die Frage gehört, wie das denn sein kann, die Zahl wirkt auf den ersten Eindruck unglaublich hoch. Versuchen wir es mit einer Erklärung.
Da ich die internen Strukturen bei Bayer nicht kenne, starten wir mit Vergleichswerten, die ich in verschiedenen anderen Firmen erlebt habe. Auf der untersten Ebene gehen wir dabei von Teams, Gruppen oder Referaten von ca. 10 Mitarbeitern aus, einer häufig anzutreffende Grösse. Unterstellen wir, dass jede dieser Einheiten einen eigenen Team-, Gruppen oder Referatsleiter hat, kommen wir damit auf ein Manager/Mitarbeiter-Verhältnis von 1 zu 10.
Auf der nächsthöheren Ebene gehen wir davon aus, dass jeweils fünf der untersten Einheiten eine Abteilung bilden, jeweils fünf Abteilungen einen Bereich, und so weiter, bis hinauf zu den Ressorts und Landesgesellschaften. Jede dieser Einheiten hat einen Leiter, und nicht nur das, ab einer bestimmten Grösse kommen Stellvertreter und Stabsstellen dazu. Alle diese Positionen zählen wir auch zum Management, und gehen dadurch grob von einem Manager/Mitarbeiter-Verhältnis von 1 zu 9 aus.
Dieses Verhältnis dürfte vor allem dort anzutreffen sein, wo es um gleichbleibende Regeltätigkeiten geht, z.B. in der Fertigung oder einem Callcenter. In der Wissens- oder Innovationsarbeit ist es aber meistens komplizierter, dort wird normalerweise in Projekten gearbeitet. Diese Projekte bilden dabei eine eigene, zu den Teams, Abteilungen, etc. parallele Organisation, die sich die Mitarbeiter von den gerade genannten Einheiten leiht, zu deren Koordination aber eigene Manager hat.
Gehen wir auch hier zuerst von der Grösse von 10 Mitarbeitern aus, die zu einem gemeinsamen Teilprojekt gehören.1 Und nehmen wir an, dass fünf Teilprojekte ein Projekt bilden und fünf Projekte ein Programm. Wenn wir jetzt noch davon ausgehen, dass wiederum jede dieser Einheiten einen Teilprojekt-, Projekt- oder Programmleiter hat (und die Linienmanager einbeziehen), kommen wir in den projektartig arbeitenden Teilen der Organisation auf ein Manager/Mitarbeiter-Verhältnis von 1 zu 5 oder 1 zu 4.
Auch hier kommen aber nochmal zusätzliche Management-Positionen dazu, zum einen erneut die Stellvertreter und Stabsstellen, ausserdem aber noch die Project Management Offices (PMO), in denen sich bemerkenswerte Mengen von Menschen mit Planungen, Schätzungen, Anträgen, Genehmigungen oder Kommunikation beschäftigen können. Dazu kommen funktionale Stellen wie z.B. Qualitäts-Manager, Rollout-Manager, Compliance-Manager, etc.
Am Ende kann durch diese doppelte Management-Hierarchie in Linien- und Projektorganisation in den projektartig arbeitenden Teilen der Firma sogar ein Manager/Mitarbeiter-Verhältnis von 1 zu 3 möglich sein (!). Verrechnen wir das mit den weniger Management-lastigen Regeltätigkeits-Einheiten, ist im Gesamtdurchschnitt ein Verhältnis möglich, dass etwa dem entspricht, von dem bei Bayer berichtet wurde, etwa 1 zu 5. Diese Zahl kann also stimmen.2
Spätestens jetzt stellt sich die Frage, was all diese Manager eigentlich machen. Wenn wir die zahlenmässig kleine Gruppe der strategisch lenkenden Topmanager ausklammern, lautet die Antwort, dass sie vor allem kommunizieren und koordinieren. Kommuniziert werden Ziele (incl. deren Herunterbrechung) und Ergebnisse (incl. deren Zusammenfassung), koordiniert werden Abhängigkeiten, v.a. fachlicher und technischer Natur, aber auch die zu anderen planenden, freigebenden oder budgetierenden Einheiten.
Wichtig für das Verständnis ist dabei, dass es in der Regel ein Systemdesign gibt, dass diese Tätigkeiten tatsächlich zu Vollzeitjobs macht. Häufige Faktoren sind z.B. hohe Spezialisierungen und knappe Budgets, wodurch Mitarbeiter nur in Teilzeit in die Projekte entsandt werden können, was zu permanenten Ziel-, Termin- und Loyalitätskonflikten führt, deren Auflösung und deren zu kommunizierende Konsequenzen bei Linien- und Projektmanagern erhebliche Daueraufwände verursachen.
Daraus ergibt sich auch, was zu tun ist, wenn man das Verhältnis von Managern zu Mitarbeitern verringern will. Zum einen müssen die unteren Einheiten crossfunktionaler und durch breitere Skillprofile in Vollzeit besetzbar werden, so dass die Zahl der zu koordinierenden Abhängigkeiten abnimmt,3 zum anderen müssen diese Einheiten mehr Entscheidungskompetenzen bekommen, wodurch es nicht mehr nötig ist, ihnen ihre Aufgaben aus übergreifenden Zielen abzuleiten (das können sie dann selbst).
In einem solchen Setting kommt eine Organisation auch mit deutlich weniger Managern aus, wobei allerdings zu beachten ist, dass eine Delegation von Verantwortung nach unten ohne Begleitung und Befähigung schnell in Überforderung enden kann (die so genannte Autonomiefalle). Um diese zu vermeiden müssen die verbleibenden Manager verstärkt die Rolle von Beratern und Coaches annehmen, um so die neuen, crossfunktional-autonomen Teams in Richtung Selbstmanagement zu entwickeln.
Genau das ist laut dem oben verlinkten Artikel auch das Zielbild der organisatorischen Veränderungen bei Bayer. Wir können gespannt sein ob das erfolgreich sein wird oder nicht, vielleicht wird es ja in einigen Monaten oder Jahren neue Berichte in den Medien geben, aus denen sich das Ausmass der Erfolge ablesen lassen wird.
2Natürlich gibt es auch viele Unternehmen in denen die Zahlen andere sind, aus meiner Erfahrung sind die von Bayer aber zumindest keine totalen Ausreisser
3Ein gewisser Umfang von Abhängigkeiten ist zwar unvermeidbar, wird der klein gehalten, können die Teams diese aber auch selbst managen