Freitag, 27. Oktober 2023

Cost of Delay

Wenn der Mehrwert von schneller Auslieferung und schneller Reaktion auf Veränderungen beschrieben wird, gehört die Vermeidung von Verspätungskosten oder "Cost of Delay" zu den am häufigsten genannten Vorteilen. Don Reinertsen, der Erfinder des Begriffs, beschreibt ihn als die Summe, die pro Zeiteinheit (Monat, Jahr, etc.) nicht eingenommen wird, weil Produkte zu spät fertig werden. Das ist auch richtig, wie er selbst sagt aber nur verkürzt dargestellt.


Will man kalkulieren, mit welchen Verzögerungskosten man im Fall einer verspäteten Fertigstellung konfrontiert werden wird, sollte man das Konzept auffächern: gibt es unterschiedliche Arten von Kosten, und von welchen würde man betroffen sein? Die Antwort auf diese Frage wird je nach Einzelfall anders ausfallen, die folgenden Typen sind aber diejenigen, mit denen am häufigsten zu rechnen ist und die man daher in die Überlegungen einbeziehen sollte.


1. Vepasster Absatz/Gewinn pro Zeit-Einheit

Der einfachste, und von Reinertsen am häufigsten genannte Fall. Bei einem angenommenen Gewinn von zwölf Millionen pro Jahr betragen die Verspätungskosten etwa eine Million pro Monat. Dieser Schätzwert macht Abwägungen möglich. Z.B. wenn man in diesem Fall durch Investitionen von sechs Millionen ein halbes Jahr schneller am Markt wäre - wäre das den Aufwand wert (nein, eher nicht).


2. Verpasstes Saison-Geschäft

Ein etwas komplizierterer Fall. Oft ist der voraussichtliche Gewinn nicht gleich über einen längeren Zeitraum verteilt, sondern konzentriert sich auf saisonale Phasen (z.B. Weihnachten) oder nach wichtigen Veranstaltungen (z.B. Messen). Eine Verspätung zu diesen Zeiträumen hätte eine hohe Cost of Delay, eine Verspätung mit restlichen Jahr eine geringe oder gar keine.


3. Strafzahlungen wegen Verspätung

Vor allem in regulierten Branchen können auch Strafzahlungen Teil der Verspätungskosten sein. Wenn beispielsweise eine Bank ihren Compliance-Bericht nicht rechtzeitig fertigstellt, kann die Bafin eine Geldstrafe verhängen (hier ein Beispiel). Da die Höhe dieser Strafen sich ungefähr abschätzen lässt, sind auch sie als Cost of Delay bezifferbar.


4. Verpasster Abbau technischer Schulden

Die technischen Schulden sind ein ähnliches Konzept wie die Verspätungskosten. Wenn man in der IT bestimmte effizienzsteigernde Faktoren (modulare Architektur, Testabdeckung, etc.), vernachlässigt, wird man dauerhaft langsamer. Sinkt beispielsweise das Arbeitstempo durch zu viele manuelle Testprozesse um 10 Prozent, lässt sich das in Zeit und damit in Geld umrechnen.


5. Verlorenes Feature-Wettrennen

Eine Variante der ersten, einfachsten Art von Cost of Delay. Wenn ein Wettbewerber ein ähnliches Produkt entwickelt, bedeutet eine Verzögerung nicht nur, dass man später mit dem Geld verdienen beginnt, sondern, dass das auch signifikant geringer ausfällt, da ein Teil der potentiellen Kunden sich dann bereits für das Angebot der früher fertig gewordenen Konkurrenz entschieden hat.


6. Verpasste Besetzung eines neuen Marktes

Gewissermassen die Steigerung eines Feature-Wettrennens. Sowohl bezogen auf neue Käufergruppen als auch bezogen auf neuartige Produkte kann es von grossem Vorteil sein, der Erste zu sein, der diesen Markt besetzt. Alle die später in Konkurrenz zu diesen Pionieren treten, müssen mit einem deutlich höheren Aufwand für Marketing und Vertrieb rechnen, so dass auch hier Zeit gleich Geld ist.


Was bei dieser Übersicht über die verschiedenen Arten von Cost of Delay, bzw. Verzögerungskosten auffällt, ist, dass ihre Grösse nach unten immer weniger abschätzbar wird. Das liegt daran, dass auch der sich verspätende Liefergegenstand nach unten immer grösser und unkonkreter wird. Das bedeutet natürlich nicht, dass man in diesen Fällen nicht über eine Cost of Delay nachdenken sollte, man sollte aber diese Ungenauigkeit in den Schätzungen abbilden.

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