Eine (neue) Typologie der Veränderungs-Akzeptanz
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Ein Hoch auf die Wissenschaft! In der Zeit bin ich auf "More in Common"-Sozialstudie gestossen, in der es zwar eigentlich um gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge geht, die aber (für mich) aus einem ganz anderen Grund interessant ist: in ihrem Mittelpunkt steht ein Modell, mit dem versucht wird, anhand des Umgangs mit Veränderungen soziale Gruppierungen zu identifizieren. Und dieses Modell ist erstaunlich gut auf Change Management in Unternehmen übertragbar.
Was diese Studie von anderen unterscheidet ist genau diese Art der Gruppenzuordnung. Statt bestehende Gruppen zu nehmen und in ihnen Erhebungen durchzuführen (was in der Realität aufgrund der gruppeninternen Heterogenitäten oft zu kaum brauchbaren Ergebnissen führt) ist das in diesem Ansatz entscheidende Zuordnungskriterium die Frage, wie Veränderungen wahrgenommen werden und wie auf sie reagiert wird (um das festzustellen gibt es standardisierte Fragenkataloge).
Die Involvierten
Die Involvierten sind im Grunde genommen die Personen, die man sich bei Veränderungsvorhaben wünscht. Sie haben Ressourcen-Zugriff oder sind vernetzt und engagiert (und dadurch einflussreich) und sie sind bereit sich in den Dienst der neuen Ideen zu stellen, wenn sie einen Sinn darin sehen. Wichtig ist, dass ihr Einfluss nicht zwingenderweise mit ihrer öffentlichen Wahrnehmbarkeit korreliert.
Die Etablierten
Das Gegenstück zu den Involvierten. Sie sind ebenfalls vernetzt, engagiert und einflussreich, und auch bei ihnen kann der Einfluss größer sein als die öffentliche Wahrnehmbarkeit. Sie haben es sich in den bestehenden Verhältnissen aber so gut eingerichtet, dass sie diese nach Möglichkeit beibehalten wollen (was übrigens eine durchaus legitime Haltung sein kann).
Die Offenen
Die Offenen bilden die eine der stark wahrnehmbaren Extrempositionen im sozialen Diskurs und befürworten Veränderungen stärker als alle anderen. Beeinflussen können sie diese aber nur eingeschränkt, was weniger paradox ist als es zunächst klingt. Durch ihre lautstarke Kommunikation sollen ihre Anliegen bei den Entscheidungsträgern addressiert werden, um dort umgesetzt zu werden.
Die Wütenden
Erneut das Gegenstück. Auch die Wütenden können nur eingeschränkt selbst die Dinge beeinflussen und äussern ihre Meinung daher lautstark in Richtung der Entscheidungsträger. Der Tenor ist allerdings ein anderer, nämlich der, dass Veränderungen eher als Belästigungen wahrgenommen werden, von denen man gerne verschont bleiben würde.
Die Pragmatischen
Die Pragmatischen können (und wollen) Veränderungen nicht beeinflussen und hätten oft auch gar nicht die nötigen Ressourcen und Einblicke um das zu tun, sie sind aber in der Lage (und gewillt) sich mit den meisten Neuerungen irgendwie zu arrangieren oder sogar einen kleinen Vorteil daraus zu ziehen. Sie sehen alles so wie sie heissen: pragmatisch.
Die Enttäuschten
Das letzte Gegenstück. Genau wie den Pragmatischen fehlen den Enttäuschten die Mittel, der Wille und das Systemverständnis, die für das Beeinflussen von Veränderungen nötig wären. Sich mit den Neuerungen arrangieren können oder wollen sie aber auch nicht, weshalb sie diese einfach irgendwie und passiv über sich ergehen lassen.
Wie immer bei derartigen Typologien ist es auch bei dieser so, dass sie Verständlichkeit auf Kosten von Differenziertheit erzeugt, wer bereits an grösseren Veränderungsvorhaben beteiligt war wird die sechs Typen aber direkt wiedererkennen. Change-Strategien und -Massnahmen gezielt auf sie auszurichten dürfte möglich sein und Erfolgspotential haben, alleine deshalb weil dadurch das häufige Antipattern aufgebrochen wird, alle Gruppen gleich behandeln zu wollen.
Wichtig dabei ist aber, dass die Zuordnung zu diesen Gruppen nicht auf Intuition oder "Expertenmeinung" beruht sondern auf rationalen und überprüfbaren Kriterien. Auf der More in Common-Website findet sich einiges zur Methodik, zu den Tools und zu ihrer möglichen Anwendung, hier kann man sich inspirieren lassen und bekommt einen guten Werkzeugkasten für eigene Anwendungen mitgegeben.