Dienstag, 4. April 2023

Politik im Konzern

Bilder: Wikimedia Commons / Luke Fildes (1, 2) - Public Domain

Wenn in grossen Unternehmen Entscheidungen getroffen werden, bei denen es weniger um die Sache und mehr um die Wahrung von Partikular-Interessen geht, spricht man von politischem Verhalten. Worauf sie beruhen bleibt dabei aber meistens unklar. Verständnis für diese Motivationen schaffen kann passenderweise die Politikwissenschaft, und hier ein eher unerwarteter Zweig: das Teilgebiet der Internationalen Beziehungen.


Nicht ohne Grund werden die Abteilungen, Bereiche und Ressorts eines Konzerns immer wieder als "kleine Königreiche" bezeichnet. Nach innen sind sie hierarchisch gegliedert, nach aussen konkurieren sie um Ressourcen, gehen Bündnisse ein oder tragen Konflikte aus. Die Parallelen zu Staaten sind offensichtlich. Und da das Fach der Internationalen Beziehungen verschiedene Deutungsmodelle für Handlungs-Motivationen entwickelt hat liegt es nahe sie zu übertragen. Hier sind die Wichtigsten:


Idealismus

Wie es der Name sagt - der Idealfall. Der Idealismus geht davon aus, dass alle Beteiligten vernunftbegabt sind und rational handeln, was im Ergebnis dazu führt, dass alle kooperieren und an einem gemeinsamen grösseren Ziel arbeiten. Der Idealismus basiert auf einem positiven Menschenbild, kann aber bei häufiger Enttäuschung durch das nächste Deutungsmodell ersetzt werden.


Realismus

Der Realismus sieht in der Politik vor allem einen Kampf um Macht, was fast zwangsläufig in Konflikten enden muss, schliesslich kann nicht jeder gleichzeitig der Mächtigste sein. Sowohl in der internationalen Politik als auch in Konzernen scheinbar häufig anzutreffen, allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Nicht nur der Realismus sondern auch seine Unterstellung basieren auf problematischen Menschenbildern.


Neo-Realismus

Naheliegenderweise eine Weiterentwicklung des Realismus. Als zentrales Handlungsmotiv wird nicht mehr Machtstreben unterstellt sondern ein Sicherheitsbedürfnis, das (basierend auf einem eher negativen Menschenbild) dazu führt, dass man einen zu grossen Machtzuwachs anderer verhindern will und in alle relevanten Entscheidungen einbezogen werden möchte. Kann in die Thukydides-Falle führen.


Institutionalismus

Der Institutionalismus baut auf den vorherigen Ansätzen auf und entwickelt sie weiter. Er geht davon aus, dass Zusammenarbeitsstrukturen (egal ob sie auf Rationalität, Machtstreben oder Sicherheitsbedürfnis beruhen) Eigendynamiken und Selbsterhaltungs-Bestrebungen entwickeln und sich so immer mehr verfestigen. Eine häufige (positive und negative) Folge ist die Herausbildung von Bürokratie.


Funktionalismus

Nochmal eine Weiterentwicklung. Im Funktionalismus wird davon ausgegangen, dass es die Funktion von Kooperation ist, noch mehr Kooperation zu erzeugen. Dort wo bereits zusammengearbeitet wird kommt es daher mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass das in Nachbar-Bereiche überschwappt (Spill Over-Effect). Das ist grundsätzlich positiv, kann aber auch in die Verflechtungsfalle führen.


Konstruktivismus

Abweichend von den anderen Ansätzen sieht der Konstruktivismus nicht (zweck)rationales Handeln als politisches Hauptmotiv, sondern die Ideen und Glaubenssätze mit denen die Beteiligten ihre Realitäts-Wahrnehmung konstruieren. In der Politik sind das z.B. Demokratie und Kommunismus, in Konzernen können es u.A. der Glaube an Mitbestimmung oder an geniale Anführer (Jobs, Musk, etc.) sein.


Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere Theorien der Internationalen Beziehungen, die meisten sind aber nur Vorstufen oder Ableitungen der hier dargestellten (oder gelten als überholt, wie z.B. der zum Kommunismus gehörende historische Materialismus von Karl Marx), weshalb die hier genannten einen recht vollständigen Überblick über die zentralen Ideen bieten.


Wie bei allen abstrakten Denk- und Deutungsmodellen können auch die aus der internationalen Politik nicht alles erklären, sie bieten aber bewährte Erklärungsmuster mit deren Hilfe die Analyse komplexer (Konzern-)politischer Strukturen leichter fallen kann. Und in jedem Fall sind sie differenzierter (und damit brauchbarer) als die Zuweisung (un)moralischer Motive, mit denen sonst häufig versucht wird politische Hundlungen zu erklären.

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