Chesterton's Fence
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Beim Navigieren und Unbestimmtheit und Komplexität ist es immer hilfreich, ein Set an hilfreichen Verhaltens- und Erkenntnis-Grundsätzen parat zu haben. Als Schutz vor Affekthandlungen und verzerrten Wahrnehmungen können sie dazu beitragen weniger voreilige und wenig durchdachte Entscheidungen zu treffen. Einer dieser Grundsätze ist Chesterton's Fence, benannt nach dem britischen Schriftsteller und Philosophen Gilbert Keith Chesterton.
Chesterton (dem man eine Vorliebe nachsagte, seine Erkenntnisse in Form von Sprichwörtern und Allegorien festzuhalten) wollte mit seinem Zaun-Vergleich seine Leser davor bewahren, bei Reform- oder Erneuerungsvorhaben vorschnell die bisher vorhandenen Regeln und Prozesse abzuschaffen, ohne darüber nachzudenken aus welchem (möglicherweise noch immer relevanten) Grund sie ursprünglich eingeführt wurden. Er lautet stammt aus seinem Buch The Thing und lautet folgendermassen:
In the matter of reforming things, as distinct from deforming them, there is one plain and simple principle; a principle which will probably be called a paradox. There exists in such a case a certain institution or law; let us say, for the sake of simplicity, a fence or gate erected across a road. The more modern type of reformer goes gaily up to it and says, 'I don't see the use of this; let us clear it away.' To which the more intelligent type of reformer will do well to answer: 'If you don't see the use of it, I certainly won't let you clear it away. Go away and think. Then, when you can come back and tell me that you do see the use of it, I may allow you to destroy it.
Was beim Lesen dieser Passage aus Chestertons Buch auffällt ist, dass er sich dem Phänomen der voreiligen Veränderung in zwei Dimensionen annähert. Zum einen der des zu reformierenden Sachverhalts. Wer die Gründe für die Einführung der vorhandenen Regeln und Prozesse nicht kennt nimmt nur einen Teil des Systems wahr das er verändern will, mit der Folge, dass die Veränderung unabsehbare Wechselwirkungen auslösen können, ggf. mit negativen Folgen.
Wichtiger ist aber die andere Dimension, die des Menschen der die Veränderungen anstösst. Die in solchen Momenten häufige Aussage "darin sehe ich keinen Sinn" zeigt für Chesterton eben nicht auf, dass dort keiner ist, sondern dass demjenigen der sie ausspricht ein Erkenntnis-Kurzschluss unterläuft: er geht davon aus, dass etwas das er selbst nicht wahrnimmt nicht existieren kann. Er unterliegt damit einem individualistischen Fehlschluss und baut seine weiteren Handlungen auf diesem auf.
Chesterton's Fence ist damit ein Aufruf zu mehr Selbstreflexion. Bevor man sich an die Reformierung eines komplexen Systems begibt sollte man sich immer fragen, ob die Wahrnehmung von dessen Ist-Zustand wirklich der Realität entspricht oder eher von eigenen Annahmen und gedanklichen Abkürzungen geprägt ist. Tut man das nicht besteht nicht nur das Risiko, dass ungewollte Ergebnisse eintreten, man wird auch von denen überrascht werden und ihre Entstehung nicht verstehen.