Kommentierte Links (XCI)
Das Internet ist voll von Menschen die interessante, tiefgründige oder aus anderen Gründen lesenswerte Artikel schreiben. Viele dieser Texte landen bei mir, wo sie als „Food for Thought“ dazu beitragen, dass auch mir die Themen nicht ausgehen. Wie am Ende jedes Monats gibt es auch diesesmal wieder eine kommentierte Übersicht über die
erwähnenswertesten.
"Ein Lob der Vorschriften", in etwa so könnte man den Titel dieses Artikels von Ebenezer Ikonne übersetzen. Angesichts der Neigung vieler Agilisten, alle von aussen kommenden Vorgaben kategorisch abzulehnen, eine hochgradig kontroverse Aussage - aber auch eine die hier nachvollziehbar begründet wird. Vorschriften können dabei helfen Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, sie können
Handlungsspielräume definieren und Qualitätssicherungsmassnahmen verpflichtend machen. Auch die Eigenschaften guter Vorschriften arbeitet Ikonne heraus: sie müssen einfach verständlich und umsetzbar sein, für den der sich an sie halten muss müssen sie Sinn ergeben, sie dürfen nicht in Widerspruch zu anderen Vorschriften stehen und ein Nichtbefolgen muss mit (wie auch immer gearteten) Folgen verbunden sein. Derartige Vorschriften sollten dann auch wieder mit agilem Arbeiten kompatibel sein.
[Btw: eine kritischere Sicht gibt es bei Jason Yip:
Cross-pollination over imposed standards]
Im (IT-)Projektmanagement gibt es das alte Sprichwort, dass es die drei Ziel-Dimensionen
Gut, Schnell und Billig gibt, von denen man aber maximal zwei gleichzeitig erreichen kann. Kent Beck, der Erfinder der
Extreme Programming-Frameworks (XP), fügt noch eine vierte hinzu, die Menge des gelieferten Mehrwerts. In seinen Worten ergeben sich so die Dimensionen Better, Sooner, Cheaper und More. Seine Überzeugung: wenn Extreme Programming richtig umgesetzt wird ist es sogar möglich, immer drei dieser vier zu erreichen, wobei die erste, Better, in jedem Fall dabei ist (über sie hat er noch
einen zweiten, weiterführenden Artikel geschrieben). Das klingt zwar gewagt, kommt aber eben auch von jemandem der in grossen Firmen wie Chrysler und Facebook bewiesen hat, dass er weiss wie man agile Produktentwicklung erfolgreich umsetzt.
Apropos grosse Firmen. Eigentlich sollte man immer
sehr vorsichtig sein wenn versucht wird aus den Arbeitsweisen bekannter Unternehmen Handlungsempfehlungen abzuleiten, an die man sich halten muss um auch erfolgreich zu sein. Das was Itamar Gilad hier aus den FAANG-Konzernen (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google) zusammengetragen hat geht aber über das blosse Kopieren von Praktiken wie Tribes oder OKRs hinaus. Er konzentriert sich eher auf grundlegende Prinzipien, wie z.B. die, dass technikferne Personen keine Entscheidungen zu technischen Produkten treffen sollten, oder dass Produkte immer von (teil-)autonomen, crossfunktionalen Teams entwickelt werden sollten (und nicht von auslastungs-optimierten Komponententeams). Das ist tatsächlich zur Nachahmung empfohlen.
Dieses Urteil hat das Potential die deutsche Software-Industrie deutlich in Richtung Agilität zu verschieben. Zum Hintergrund: um mögliche Fälle von Scheinselbstständigkeit von vornherein auszuschliessen werden in vielen Unternehmen externe Entwickler von einem Grossteil der Meetings, Informationen und Tools ausgeschlossen. Gemischte interne/externe Scrum Teams sind dadurch dort de facto unmöglich, was sowohl für Firmen als auch für Freelancer ein echtes Problem ist. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat nun geurteilt, dass externe Entwickler in Scrum Teams aufgrund der dort gegebenen Selbstorganisation nicht weisungsgebunden und damit nicht scheinselbstständig sein können. Sollten weitere Gerichte dem folgen wären gemischte Teams wieder in allen Unternehmen möglich. Und für alle Fans der Juristerei:
hier ist der Originaltext des Urteils.
Auch diesesmal führt der letzte kommentierte Link zu einem Longread. Mit dem Themenkomplex des Schätzens, Kleinschneidens und Prognostizierens hat sich John Coleman ein Thema ausgesucht zu dem es viele verschiedene Meinungen, Werkzeuge und Erfahrungswerte gibt, die er zusammenfasst und einordnet. Den Königsweg kann natürlich auch er nicht aufzeigen, nach dem Lesen seines Artikels ist man aber sehr gut über den aktuellen Stand informiert und wird vieles gelernt oder aufgefrischt haben was auch im eigenen Team nützlich sein kann.