Freitag, 19. August 2022

Fullstack, T-Shape, π-Shape und weitere Skillprofile

Bild: Wikimedia Commons / Plamen - Public Domain

Ein wiederkehrender Einwand gegen Scrum und andere Ansätze die auf crossfunktionalen, nach dem Pull-Prinzip arbeitenden Teams beruhen, ist der, dass sie von unrealistischen Stellen- oder Skill-Profilen ausgehen würden. In ihnen müsste jeder Einzelne in der Lage sein, alle in Frage kommenden Arbeiten durchzuführen, was in einer komplexen und vielschichtigen Arbeitswelt gar nicht möglich wäre. Das ist natürlich ein Mythos, niemand verlangt das. Aber er hat einen wahren Kern.


Tatsächlich ist das beste was einem agilen Team passieren kann, dass möglichst viele seiner Mitglieder Full Stack-Developer sind, also an allen Aufgaben arbeiten können. So lässt sich sobald eine Aufgabe abgeschlossen ist immer die am höchsten priorisierte nächste Aufgabe ziehen und erledigen. Allerdings geht das nur bis zu einer gewissen Vielfältigkeit des Produkts, sobald die überschritten ist (z.B. in den meisten kombinierten Hardware/Software-Produkten) gibt es Full Stack Developer kaum noch.


Der häufigste Weg das zu kompensieren sind die so genannten T-Shape Profile. In ihnen gibt es vertieftes Wissen in einem Bereich (symbolisiert durch den vertikalen Balken) und nur grundlegendes Wissen in den anderen Bereichen (symbolisiert durch den horizontalen Balken). In dieser Konstellation kann zumindest ein Teil der Aufgaben ausserhalb des eigenen Spezialgebietes übernommen werden, die verzögernden Flaschenhalseffekte (im Zweifel muss auf den Spezialisten gewartet werden) werden so abgeschwächt.


Wann genau dieser Begriff eines T-förmigen Skillprofils entstanden ist lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen, die früheste bekannte Erwähnung ist aber der Artikel "The hunt is on for the Renaissance Man of computing" von David Guest, der 1991 in der britischen Zeitung "The Independent" erschienen ist. Guest bezog sich in ihm noch weitgehend auf Manager, in den folgenden Jahren wurde der Begriff aber mehr und mehr auf die unteren Ebenen übertragen.


Sobald sich T-Shape Profile im Team etabliert haben wird häufig versucht einen nächsten Schritt in Richtung Full Stack zu gehen, indem jeder sich einen zweiten Schwerpunkt aussucht in dem er sich vertieftes Wissen erarbeitet. Da das grafisch dargestellt dem griechischen Buchstaben π entspricht (zwei vertikale Balken, ein horizontaler Balken) ist in diesem Zusammenhang häufig von π-Shape Profilen die Rede (btw: π wird wie Pi ausgesprochen).


Auch das lässt sich natürlich noch weiter steigern, immer wieder wird versucht Modelle zu entwickeln in denen die Skillprofile noch mehr Spezialisierungs-Gebiete haben sollen: Key Shape, Paint Drip Shape, Icicle Shape, Chtulu Shape und Comb Shape sind einige davon (auf den verlinkten Webseiten werden die Benennungen erklärt), die aber alle nur noch detailliertere Zwischenstufen in Richtung eines Full Stack Profils darstellen.


Wie viele dieser Entwicklungsschritte ein Mensch gehen kann (und will) hängt ganz von den jeweiligen Umständen ab, anzustreben sind aber zumindest T-Shape oder π-Shape. Dort wo sie nicht gegeben sind wird ein Team auf Mitglieder mit I-shaped Skills zurückgeworfen, die sich auf eine Sache spezialisiert haben und sonst nichts können oder wollen. Dass man solchen Menschen nahegelegt hat besser nicht in agilen Teams zu arbeiten dürfte übrigens der Grund für den zu Beginn genannten Mythos sein.

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