Montag, 13. Juni 2022

Agilität kommt mit einem Preis

Bild: Wikimedia Commons / Elvey - CC0 1.0

Wenn agiles Arbeiten irgendwo zum ersten Mal vorgestellt wird klingt es meistens zu schön um wahr zu sein. Alles wird schneller, besser, kundenorientierter und Mitarbeiter-freundlicher, dazu ist es irgendwie modern und hip - wer würde das nicht wollen? Irgendwann während der Umsetzung kommt dann aber das unschöne Erwachen: auf einmal ist vieles anstrengend und ungewohnt. Und vor allem gibt es plötzlich eine lange Liste von bisher gewohnten Praktiken die man nicht mehr machen soll.


Es ist dabei normalerweile nicht so, dass im Vorfeld irgendetwas bewusst verschwiegen worden wäre. Für einen überzeugten Agilisten sind die meisten dieser gewohnten Praktiken Notlösungen, die nur da sind weil es bisher nicht Besseres gab, weshalb sie auch niemand vermissen wird. Für viele andere Menschen sind sie aber wichtig und geben Sicherheit, weshalb voher klar kommuniziert werden sollte: der Preis der Agilität ist, dass es einige andere Dinge nicht mehr geben kann.


Was mit der Einführung agiler Arbeitsweisen zum Beispiel verschwindet ist die Möglichkeit langfristige Detailpläne zu machen. In einem Arbeitsmodus der davon ausgeht, dass es sinnvoll und richtig ist seine Pläne regelmässig an Veränderungen anzupassen kann man nicht mehr festlegen woran ein Team im zweiten Sprint des vierten Monats des übernächsten Jahres arbeiten wird. Ziele müssen abstrakter werden und auf unterschiedlichen Wegen erreichbar sein.


Zusammenhängend damit verschwindet auch die Möglichkeit einer detail-Budgetierung. Lange im Voraus Tätigkeiten bestimmte Buchungsnummern zuzuordnen und festzulegen, dass Arbeitsstunden nur noch auf diese gebucht werden dürfen nähme der Organisation jegliche schnelle Reaktionsfähigkeit (Anpassungen der Budgets sind zwar möglich, in der Regel aber mit Bürokratie verbunden). Budgetiert werden müssen stattdessen jeweils ganze Produkte oder Projekte.


Während der Umsetzung ändert sich, dass man Ressourcen (→ Menschen) nicht mehr so effizient einsetzen kann, dass sie tage- oder stundenweise zwischen Team und Projekten hin- und hergeschoben werden, je nachdem wo es gerade dringend ist. Würde das gemacht hätte jede Planänderung sofort Auswirkungen quer durch die Organisation, da neue Ressourcenverschiebungen nötig würden. Nötig ist stattdessen eine feste Zugehörigkeit zu langlebigen Teams.


Am Ende der Verarbeitungsketten muss schliesslich auf die Synergie-Effekte gemeinsamer Gross-Integrationen, Gross-Abnahmen und Gross-Releases verzichtet werden, genauso wie auf die (scheinbare) Sicherheit nachgelagerter Testphasen. Um auf Änderungen reagieren zu können muss man diese früh entdecken und daher möglichst oft integrieren, testen und releasen. Statt das in späten Phasen zu tun muss das früher und häufiger stattfinden.


Es liessen sich noch viele weitere Beispiele finden, die Botschaft ist aber klar: vieles von dem was im bisherigen Organisationsmodell richtig und wichtig war kann nicht weiter beibehalten werden wenn der Arbeitsmodus agil wird. Es abzuschaffen bringt so grosse Vorteile mit sich, dass es lohnt das zu machen, für die Menschen die bisher so gearbeitet haben (und deren Stelle mitunter davon abhängt) kann es aber anstrengend und schmerzhaft sein.


Diese Änderungen und damit verbundenen Schmerzen sind der Preis den man dafür zahlen muss agil zu werden. Und dort wo die strategische Entscheidung ansteht in Zukunft agil werden zu wollen sollte dieser Preis klar und deutlich genannt werden. Unterbleibt das werden die gegenläufigen Arbeitsweisen ständig Störungen und Widerstände erzeugen. Wird es klar benannt klingt der Zielzustand zwar nicht mehr zu schön um wahr zu sein, man kann aber deutlich besser daran arbeiten dorthin zu kommen.

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