Montag, 4. April 2022

Stand Up-Meetings

Bild: Pexels / Fauxel - Lizenz

Neben den an den Wänden hängenden Task- oder Kanban-Boards und dem Pair Programming ist die dritte sofort sichtbare Besonderheit an die sich jeder erinnert, der zum ersten mal ein agil arbeitendes Team oder Projekt besucht, das so genannte Daily Stand Up, also ein kurzes (meistens nur wenige Minuten dauerndes) Abstimmungs- oder Status-Meeting der Teams, das nicht im Sitzen sondern im Stehen abgehalten wird, meistens vor einem der gerade genannten Boards.1


Der Eindruck ist derartig prägend, dass viele Beobachter und Teams davon ausgehen, das Stehen während der täglichen Abstimmung wäre ein verpflichtender Teil des agilen Arbeitsmodus. Tatsächlich ist es aber nur von einem der bekannten Frameworks in sein Regelwerk aufgenommen worden, vom Scaled Agile Framework (siehe hier). Scrum und Extreme Programming kennen es zwar, allerdings nur als Good Practice die man nicht umsetzen muss, die aber aus folgenden Gründen empfehlenswert ist:


Sich stehend auszutauschen hat mehrere Vorteile - durch das Aufstehen wird der Blutkreislauf in Bewegung gebracht, wodurch Sauerstoff ins Gehirn gelangt und die Konzentration steigt, durch das Stehen wird es schwerer es sich (versehentlich) bequem zu machen und den Termin in die Länge zu ziehen, die physische Distanz zum Board an dem gearbeitet wird lässt sich minimieren und (dazu gleich mehr) das Meeting kann stattfinden ohne einen Meetingraum buchen zu müssen.


All das scheint heute extrem naheliegend, ist aber vermutlich eine nachträgliche Begründung. Die ersten Daily Scrum Meetings fanden Anfang der 90er Jahre noch durchgehend im Sitzen statt und auch im den offiziellen Beschreibungen von Scrum wurde (und wird) das Thema nicht erwähnt. In den um das Jahr 2000 entstandenen Beschreibungen von Extreme Programming ist es dagegen wie selbstverständlich enthalten, sein Ursprung liegt also irgendwo in den 90ern.


Wo genau lässt sich wie bei vielen anderen Praktiken nicht genau sagen, vermutlich weil den Erfindern die Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst war und sie daher nicht dokumentiert wurde. Anekdoten aus der Frühzeit der agilen Bewegung lassen aber vermuten, dass die ersten Stand Ups ohne grössere Überlegungen etabliert wurden und auf Sachzwängen beruhten. Ein Beispiel dafür ist dieses hier, aus dem 2001 erschienenen Buch Agile Software Development with Scrum.


Paul Martin had a Daily Scrum in his office which was so small everybody had to stand up. [...] This was one of the best running Scrum Teams I have seen. (Jeff Sutherland, private correspondence)

Agile Software Development with Scrum, S.42


Wer schon einmal die Umstellung eines Unternehmens von klassischem Management auf agile Vorgehensweisen begleitet hat wird diese Geschichte sofort nachvollziehen können. Meetingräume für tägliche Termine zu buchen ist durch deren Knappheit schwierig bis unmöglich,2 sie in den eigenen Räumen stattfinden zu lassen ist die naheliegende Alternative. Da dort aber meistens zu wenig Platz oder zu wenig Stühle vorhanden sind muss man eben stehen.


Ein verstärkender Faktor dürfte gewesen sein, dass viele der ersten agilen Teams sich inoffiziell und sogar in bewusster Abgrenzung zu den offiziellen Prozessen etablierten. Da diese Prozesse sehr stark mit der traditionellen Art der Meeting-Durchführung (sitzend um einen Tisch) identifiziert wurden war die Abweichung davon ein bewusstes Statement der Andersartigkeit, wie sich Joe Kinsella (Mitglied des ersten Scrum Teams) erinnert.


By not choosing one of the many available conference rooms, the meeting instantly had a sense of informality and urgency.

Joe Kinsella, The First Stand-up


Bei den noch später gestarteten Teams dürfte sich irgendwann durch die weite Verbreitung des Stehens in den Meetings die Ansicht verbreitet haben, dass das einfach der richtige Weg wäre, auch wenn die ursprünglich dafür sprechenden Gründe irgendwann in Vergessenheit geraten sind. "Wenn man agil arbeitet macht man das einfach so." ist ein häufig zu hörendes Argument, mit manchmal kuriosen Folgen wie z.B. dem Stehen vor dem eigenen Rechner in Remote-Meetings.


Da diese und andere Methodismen und Formalismen häufig zu Abwehrreaktionen führen ist es sinnvoll die ursprünglichen Gründe für die Einführung der Stand Up-Meetings mit dem Team dessen Mitglied oder Coach man gerade ist zu diskutieren. Wenn es diese auch für sich als gegeben ansieht können die Meetings weiter im Stehen durchgeführt werden. Wenn nicht können sich einfach alle setzen.



1Es sei denn der Besuch fand bei einem reinen Remote-Team statt, was aber ein relativ neues Phänomen ist
2Diese Knappheit beruht meistens darauf, dass die Büros ursprünglich für weniger Menschen vorgesehen waren, dann aber "optimiert wurden"

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