Kommentierte Links (LXXXIV)
Das Internet ist voll von Menschen die interessante, tiefgründige oder aus anderen Gründen lesenswerte Artikel schreiben. Viele dieser Texte landen bei mir, wo sie als „Food for Thought“ dazu beitragen, dass auch mir die Themen nicht ausgehen. Wie am Ende jedes Monats gibt es auch diesesmal wieder eine kommentierte Übersicht über die erwähnenswertesten.
Sowohl bei Entwicklern als auch bei Methodikern gerät eine gleichermassen schlichte wie zentrale Wahrheit manchmal aus dem Focus: das zentrale Interesse jeder Firma ist es Gewinne zu erwirtschaften, nicht nur um ihn an Aktionäre auszuschütten sondern auch um ihn zu reinvestieren, sich neue Geschäftsfelder zu erschliessen und sich so die eigene Zukunft zu sichern. Charity Majors hat auch das Gegenteil schon erlebt, in dem Technik oder Prozesse zum Selbstzweck erhoben wurden. Ihre klare Warnung - wer das zulässt riskiert nicht nur die wirtschaftliche Existenz des eigenen Arbeitgebers sondern untergräbt auch massiv die eigene Reputation (und auch die des eigenen technischen oder methodischen Lieblingsspielzeugs).
Ich sehe in meinem Beruf schon seit längerem Hinweise darauf, dass Remote- oder Hybrid-Arbeit negative Auswirkungen auf die davon betroffenen Organisationen hat, und Michael Arena bestätigt einiges was ich auch wahrnehme. Gestützt auf Veröffentlichungen in Wissenschafts-Zeitschriften und bekannten Zeitungen führt hebt er eine besonders schwerwiegende hervor: die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen und Teams geht besonders zurück und reisst mitunter sogar ab, mit dem Ergebnis, dass die übergreifende Zusammenarbeit langwieriger und aufwändiger wird. Was man seinen Erklärungen noch hinzufügen kann ist eine häufig anzutreffende Folge: um dieses Auseinanderdriften zu kompensieren führen viele Firmen (wieder) zentrale Koordinationseinheiten ein, die dann verlangsamende und Bürokratie erzeugende Flaschenhälse bilden.
Anschliessend an die Ausführungen von Michael Arena muss natürlich ein Disclaimer folgen: Präsenzarbeit führt nicht automatisch zu Verbesserungen, sie muss auch richtig organisiert werden. Patricia Salgado (eine Soziologin) hebt einen wichtigen Aspekt hervor - den, dass die Architektur eines Bürogebäudes Zusammenarbeit sowohl hemmen als auch fördern kann, je nachdem ob Menschen getrennt und aneinander vorbeigeleitet oder an zentralen Begegnungspunkten miteinander in Kontakt gebracht werden. Der Artikel ist mit ein bisschen Vorsicht zu lesen, da sie anscheinend nur oberflächliche Kenntnisse der agilen Frameworks hat und diese manchmal missversteht, das Thema und der sozialwissenschaftliche Blickwinkel machen ihn aber trotzdem empfehlenswert.
Kognitive Verzerrungen und ihre Folgen auf die menschliche Zusammenarbeit sind immer wieder ein interessantes Thema. Diejenige die der Oxford-Professor Bent Flyvbjerg hier präsentiert ist der "Optimism Bias". Seine Auswirkung ist nicht nur, dass zukünftige Entwicklungen (bzw. der Realitätsnähe von Planungen) mit unverhältnismässigem Optimismus betrachtet werden, ein weiterer Aspekt ist der, dass den Betroffenen dieser übermässige Optimismus nicht bewusst ist. Als Folge dessen werden über-optimistisch geplante Vorhaben eher genehmigt und gestartet als realistisch geplante, da sie in der Theorie als die deutlich einfacheren und gewinnbringenderen erscheinen. Inspiriert vom ehemaligen Nokia-Vorstandsvorsitzenden Risto Siilasmaa empfiehlt Flyvbjerg als Gegen-Ansatz zum Optimism-Bias den "Paranoid Optimism" - man sollte immer vom Schlimmsten ausgehen, aber auch davon es mit harter Arbeit bewältigen zu können.
Angelehnt an aktuelle Nachrichten gibt Andrew Hill einen Ratschlag den sich jeder zu Herzen nehmen sollte - als Führungsperson die Schuld für Fehler oder schlechte Ergebnisse auf seine Untergebenen abzuwälzen zeugt nicht nur von schlechtem Charakter, man schadet sich dadurch auch selbst. In Organisationen in denen eine derartige "Schuldzuweisungs-Kultur" herrscht vertrauen die Menschen sich weniger, arbeiten schlechter zusammen, verheimlichen gemachte Fehler und verhindern so, dass aus ihnen gelernt wird und sie in Zukunft vermieden werden können. Das Gegenstück ist allerdings nicht eine Kultur des konsequenzlosen Verzeihens aller Fehltritte sondern sollte irgendwo in der goldenen Mitte liegen, so dass zwar eine Aufarbeitung möglich ist, aber ohne einen damit verbundenen Gesichtsverlust der Beteiligten.