Kommentierte Links (LXXVIII)
Das Internet ist voll von Menschen die interessante, tiefgründige oder aus anderen Gründen lesenswerte Artikel schreiben. Viele dieser Texte landen bei mir, wo sie als „Food for Thought“ dazu beitragen, dass auch mir die Themen nicht ausgehen. Wie am Ende jedes Monats gibt es auch diesesmal wieder eine kommentierte Übersicht über die erwähnenswertesten.
Dass selbst in einem agil organisierten Umfeld das Wechseln zwischen Abteilungen nicht einfach ist hatte ich bereits im Rahmen von
Dynamic Reteaming angesprochen, in einem klassischen Umfeld kommt noch ein weiterer Faktor dazu: die Manager, die ihre "Stars" nicht ziehen lassen wollen. Kevin Oakes sieht darin ein Zeichen systemischer Probleme, da die Motivation für derartige Verhaltensweisen meistens darauf zurückgeht, dass der mit einem Weggang der Leistungsträger verbundene Leistungsabfall negativ auf deren bisherigen Manager zurückfällt. Sein Lösungsansatz ist daher ebenfalls systemisch - um die positiven Effekte von Wechseln im Unternehmen zu haben (Wissensaustausch, Bildung von Netzwerken, etc) empfiehlt er Manager dafür zu belohnen, dass sie ihre besten Leute zum Wechseln auffordern und den Wechsel selbst zu einem unbürokratischen (horizontalen) Karrierepfad zu machen.
Den szenischen Einstieg in den Artikel und die darauf folgende Anekdote aus dem Leben eines Product Owners kann man lesen, man kann aber auch direkt zu den "11 Gesetzen der Aufwandsschätzungen in der Softwareentwicklung" springen die Maarten Dalmijn zusammengetragen hat, auch für sich genommen sind sie lesenswert.
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The work still takes the same amount of time regardless of the accuracy of your estimate
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No matter what you do, estimates can never be fully trusted
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Imposing estimates on others is a recipe for disaster
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Estimates become more reliable closer to the completion of the project. This is also when they are the least useful
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The more you worry about your estimates, the more certain you can be that you have bigger things you should be worrying about instead
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When you suck at building software, your estimates will suck. When you’re great at building software, your estimates will be mediocre
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The biggest value in estimating isn’t the estimate but checking if there is a common understanding
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Keeping things simple is the best way to increase the accuracy of estimates
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Building something increases the accuracy of estimates more than talking about building it
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Breaking all the work down to the smallest details to arrive at a better estimate means you will deliver the project later than if you hadn’t done that
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Punishing wrong estimates is often like punishing a kid for something they don’t and can’t know yet
Wer Erfahrungen in klassischem Produktmanagement und klassischer Produktsteuerung hat wird erkennen, dass für jeden der so sozialisiert wurde diese 11 Gesetze hochgradig unintuitiv sind. Um so wichtiger sind die Erklärungen die hier zu jedem von ihnen geboten werden.
Einfach alle Meetings und alle Emails abzuschaffen ist ein Gedanke der so ziemlich jedem der in grossen Organisationen arbeitet irgendwann einmal gekommen sein wird, zu sehr hat man oft das Gefühl, dass sie nur sinnlose Zeitverschwendung sind. Vor diesem Hintergrund ist die von Stephanie Vozza beschriebene Fallstudie um so interessanter, denn das Unternehmen um das es hier geht (
TheSoul Publishing) hat genau das gemacht und sich von beidem getrennt. Das dort stattdessen dominierende Kommunikations-Paradigma könnte man als "radikal transparente asynchrone Kommunikatin" beschreiben. Schriftlicher Austausch findet in für alle zugänglichen Foren und Chat-Kanälen statt, auch Anrufe und Video-Calls werden aufgenommen und dort veröffentlicht. Auf diese Weise hat jeder Mitarbeiter Zugang zu allen Informationen die im Unternehmen ausgetauscht werden. Wie Vozza selbst schreibt ist dieser Ansatz für alle neuen Mitarbeiter sehr gewöhnungsbedürftig, soll aber zu einem Produktivitäts-Boost führen. Vor allem zu dem letzten Punkt
hätte ich zwar Fragen, aber als Beispiel für das was möglich ist, ist TheSoul bemerkenswert.
Apropos bemerkenswerte Fallstudien. Seit einigen Jahren wird immer wieder von Unternehmen berichtet die bei gleichbleibendem Gehalt die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter drastisch verkürzt haben und dadurch wirtschaftlich erfolgreicher geworden sind. Da die einzelnen Fälle sehr unterschiedlich waren gibt es kaum eine Übersicht über die beeinflussenden Faktoren, was eine Besprechung und Bewertung schwierig macht. Virgilia Jansen-Preilowski bringt etwas Licht in das Dunkel indem sie einige nennt: Parkinson's Law, Effort-Recovery-Model, Stressempfinden und Soziale Einbindung, dazu verweist sie auf verschiedene weiterführende wissenschaftliche Quellen. Vor allem die an der Universität Bielefeld entstandene Meta-Studie
"Arbeitszeitgestaltung in der digitalisierten Arbeitswelt: Ein systematisches Literatur Review zur Wirkung von
Arbeitszeitverkürzung in Bezug auf die psychische Gesundheit" bietet dabei interessante weitere Einsichten.
Auch ein Klassiker unter den Kategorien die hier gerne verlinkt werden: Berichte über den Einsatz agiler Frameworks in einem eher untypischen Umfeld. Uno de Waal hat die Einführung von Scrum in einer Redaktion miterlebt und mitgestaltet und die dabei gemachten Erfahrungen in einem Artikel zusammengefasst. Eine seiner Erkenntnisse findet sich auch in vielen vergleichbaren Fällen wieder - selbst grundlegende Praktiken wie die Visualisierung von Arbeit und die kollaborative Aufwandsschätzung können in Organisationen die bisher anders gearbeitet haben bereits zu weitreichenden Verbesserungen führen.