Kommentierte Links (LXXIV)
Steve Blank ist nicht irgendwer. Zusammen mit Eric Ries ist er einer der beiden Vordenker der Lean Startup-Bewegung, in der unter anderem das Konzept des
Minimum Viable Product (MVP) entwickelt wurde. Wenn er es also einem anderen erlaubt auf seiner Website einen Artikel zu diesem Thema zu veröffentlichen kann man davon ausgehen, dass er lesenswert ist. Dieser Andere ist in diesem Fall
Shawn Carolan, und sein Thema ist der so genannte "MVP-Tree", ein Entscheidungsbaum mit dessen Hilfe man bestimmen kann welches das richtige MVP ist das man bauen sollte. Wie alle "Standard-Rezepte" ist auch dieses mit Vorsicht zu geniessen, eine wertvolle Inspiration ist es aber auf jeden Fall.
So schön die Theorie auch sein mag - manchmal kommt man nicht darum herum die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Ein Aspekt bei dem das immer wieder vorkommt ist die in agilen Teams eigentlich vorgesehene Gleichbehandlung aller Teammitglieder, ungeachtet ihres Hintergrunds. Ron Ashkenas, Larry Hirschhorn und Thomas Giernalczyk merken völlig zu Recht an, dass das nur eingeschränkt funktionieren kann wenn ein Team sowohl aus internen als auch aus externen Mitarbeitern zusammengesetzt ist und arbeiten heraus welche unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Motivationsfaktoren für diese Gruppen gelten.
Man muss dich die Journalisten als gequälte Menschen vorstellen. Drei Jahrzehnte voller digitaler Disruption, sich wandelndem Medienkonsum, Redaktionszusammenlegungen und Entlassungswellen haben dazu geführt, dass die meisten von ihnen nach und nach zu Akkord-Textern degradiert worden sind. Dass das zu einem gesellschaftlichen Problem werden kann zeigt dieser Artikel, dem man ansieht, dass bei ihm weder für gründliche Recherche noch für Faktencheck und Redigieren Zeit und Geld vorhanden waren. Dass der relativ neue Beruf des
Agile Coaches mitunter so dubios wahrgenommen (und ausgeübt) wird liegt auch an diesen Hintergründen: es gibt in den ausgezehrten Redaktionen kaum noch Kapazitäten um ihn angemessen zu erforschen und darzustellen.
Die zentrale These dieses Artikels von GeePaw Hill lautet: "Keine der gängigen 'Agilen' Methoden kann hoch-performante Entwicklungsteams hervorbringen." Selbst wenn man dem nicht in dieser Absolutheit folgt, die Gründe die er dafür anführt verdienen es sorgfältig durchdacht zu werden.
- Teamübergreifende Standardisierungen sorgen dafür, dass individuelle Bedürfnisse einzelner Teams nicht mehr erfüllt werden können.
- Die Fixierung auf Prozesse sorgt dafür, dass das Arbeiten an den eigentlich wichtigeren Arbeitsbeziehungen in den Hintergrund tritt.
- Die unterschiedlichen Interessen von Kunden, Firmen und Mitarbeitern werden im Zweifel zugunsten des methodisch vorgegebenen Ziels vernachlässigt.
- Alle Methoden beschreiben einen Idealzustand der in der Realität nur schwer erreichbar ist.
- Für die Erfinder und Vertreter der Methoden ist es wichtiger mit ihnen Geld zu verdienen als anderen zu helfen.
Wie gesagt, man muss dem nicht in allem zustimmen, aber wer bereits Umsetzungen irgendwelcher agiler Frameworks erlebt hat wird einiges wiedererkennen. Und dass der Autor durchaus mit ein paar steilen Thesen provozieren will merkt man daran, dass unter den von ihm genannten Methoden auch eine ist als deren Fan er sich normalerweise bekennt: Extreme Programming.
Wie häufiger bei den kommentierten Links steckt hinter dem letzten der längste Text, angeteasert von der kürzesten Beschreibung. Ein kurzer Spoiler: hier wird der Bezug zwischen Softwareentwicklung und
Erkenntnisstheorie hergestellt. Und die Schlüssel zum Erfolg sind
bayesscher Wahrscheinlichkeits-Begriff, Agilität und Demut.