Montag, 29. März 2021

Biggest Bottleneck Ever Given

Bild: Wikimedia Commons / NASA - Public Domain
Es ist immer hilfreich wenn man komplexe Sachverhalte mit nachvollziehbaren Analogien erklären kann, selbst wenn diese auf eher unerfreulichen Ereignissen beruhen. Seit März 2021 sind wir um eine solche Analogie reicher, und zwar aufgrund eines der folgenschwersten Verkehrsunfälle der Menschheitsgeschichte. Sein Schaden dürfte in die Milliarden gehen, aber immerhin - durch ihn können wir die Risiken von Flaschenhälsen in Wertströmen so anschaulich erklären wie nie zuvor.


Gegenstand dieser Geschichte ist das Container-Frachtschiff Ever Given, das am 23.03. beim Passieren des Suez-Kanals so unglücklich von einem Sandsturm getroffen wurde, dass es sich quer stellte und an beiden Enden auf Grund lief, wodurch der Kanal, die bedeutenste Wasserstrasse der Welt, tagelang blockiert wurde. Zahllosen anderen Schiffen blieben dadurch nur zwei Möglichkeiten: bis zur Befreiung der Ever Given warten oder den zehn Tage längeren Umweg um Afrika nehmen.


Verschiedene Aspekte lassen sich für Vorträge oder Workshops verwerten. Zunächst ein häufig übersehener: ein Flaschenhals ist nicht zwingend die einzige Stelle durch die ein Wertstrom fliessen kann, es ist aber die schnellste oder wirtschaftlichste. Andere können zwar existieren (in diesem Fall die Route um Afrika) gleichwertige Alternativen sind sie allerdings wegen der mit ihnen verbundenen zusätzlichen Aufwände nicht.


Ein weiterer Punkt der sich anhand der Suez-Blockade gut vermitteln lässt ist das mit Flaschenhälsen verbundene Risiko: ein einziger feststeckender "Liefergegenstand" kann weitreichende Auswirkungen haben. Darüber hinaus lassen sich auch Schwarze Schwäne mit ihr veranschaulichen, also Risiken die praktisch nicht vorhersehbar waren. Dass ein so grosses Schiff hier auf Grund laufen könnte war aus gutem Grund nicht zu ahnen - bis 2018 gab es einfach noch keine in dieser Grössenordnung.


Ebenfalls gut mit diesem Beispiel zu erklären sind die beiden eigentlich abstrakten Konzepte von totem Kapital und Cost of Delay. Dass die Ladungen der über 350 an ihrer Weiterfahrt gehinderten Frachtschiffe dem Wirtschaftskreislauf entzogen (und damit "tot") sind dürfte auch für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler offensichtlich sein, und für die Verspätungskosten gibt es sogar eine Zahl: mehr als zehn Milliarden dürfte der wirtschaftliche Gesamtschaden am Ende betragen.


Bild: ESA, Contains modified Copernicus Sentinel data 2021 - CC BY-SA 3.0 IGO


Es sind aber nicht nur die negativen Seiten von Flaschenhälsen die sich anhand des Unfalls der Ever Given erzählen lassen, auf der anderen Seite sind es auch die möglichen Arten mit diesem Risiko umzugehen. Die naheliegendste davon dürfte sein, den Engpass zu erweitern, etwa im Fall des Suez-Kanals durch eine zweite Fahrrinne. Das ist zwar in der Umsetzung teuer, im Vergleich zu möglichen Unfallkosten (siehe oben) aber ggf. zu rechtfertigen. (Nachtrag 11.05.: so ist es gekommen)


Auch die Sinnhaftigkeit kleinerer Lieferpakete lässt sich hier darstellen: zum einen würde bei vielen kleineren Schiffen nur ein Teil des zu liefernden Werts von einem blockierten Flaschenhals betroffen sein, zum Anderen kann davon ausgegangen werden, dass diese kleineren Fahrzeuge nur einen Teil der Engstelle blockieren würden - oder aufgrund ihrer geringeren Grösse äusseren Einflüssen (wie dem Sandsturm) eine viel kleinere Angriffsfläche bieten würden.


Wie alle Analogien hat natürlich auch die der Suez-Blockade ihre Grenzen, als plakativer und leicht nachvollziehbarer Einstieg in den Themenkomplex Flaschenhälse und Wertströme ist sie aber definitiv verwendbar. Ein vertiefteres Eingehen ist danach ja noch immer möglich. Und als eingängiges Schaubild dürfte die quer im Kanal steckende Ever Given geeignet sein wie wenige sonst.



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