Donnerstag, 25. März 2021

Krabbenkörbe

Bild: Wikimedia Commons / USEPA - CC0 1.0

Zu den einfachsten und stärksten Metaphern für die Schwierigkeiten die die Menschen sich gegenseitig bereiten gehört die des Krabbenkorbes. Die in einer solchen Falle gefangenen Krabben versuchen zwar zu entkommen, da jede sich an den jeweils anderen hochziehen und auf ihnen abstützen will behindern sie sich gegenseitig aber so sehr, dass alle gefangen bleiben. Die Übertragung auf die Gesellschaft liegt nahe: statt sich gegenseitig zu helfen ziehen die Menschen sich gegenseitig herunter.


Allerdings: so offensichtlich diese Deutung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, bei einer näheren Betrachtung bietet sich ein ungleich komplizierteres Bild. Zum einen sind die Menschen zum Glück deutlich besser als ihr Ruf, zum anderen ist es aber leider doch so, dass sich in der Realität (und hier vor allem in der Arbeitswelt) immer wieder Krabbenkörbe beobachten lassen. Das wirkt zunächst widersprüchlich, lässt sich aber erklären.


Zunächst zur Natur des Menschen. Selbst wenn es unbestreitbar ist, dass es missgünstige und zur Sabotage neigende Charaktere gibt, sind in der Biologie, Psychologie und Soziologie immer wieder Belege dafür gefunden worden, dass es auch einen weitverbreiteten Drang zum selbstlosen Helfen gibt, der sich in vielfältiger Form manifestiert, von der religiös begründeten Nächstenliebe über staatliche Sozial- und Stipendiensysteme bis hin zu den unterstützenden Positionen in Mannschaftssportarten.


Die gleichzeitig beruhigende und beunruhigende Erkenntnis die sich hieraus ziehen lässt: dort wo es zu den Effekten des gegenseitigen Herunterziehens kommt handelt es sich um kein naturgegebenes Schicksal, die Ursache muss an anderer Stelle liegen. Und wenn die menschliche Natur wegfällt bleibt eigentlich nur ein anderer möglicher Entstehungsgrund übrig - das die Menschen umgebende soziale System, das durch seine Rahmenbedingungen das Verhalten seiner Angehörigen formt.


Hat man sich einmal auf diesen Gedanken eingelassen wird man vor allem in grossen Organisationen zahlreiche Beispiele finden, etwa dort wo Softwareentwicklungs-Organisationen in Programmier- und Test-Abteilungen getrennt sind. Während dort ein Entwickler in der Regel für einen möglichst frühen Code Freeze belohnt wird erhält der Tester seine Anerkennung oft dafür, dass er bis zum letztmöglichen Zeitpunkt nach Fehlern sucht. Und derartig gegenläufige Ziele sind kein Einzelfall.


Einkaufs-Mitarbeiter werden meistens angehalten externe Arbeitskräfte möglichst billig einzukaufen, während intern möglichst gute (und damit teure) externe Kollegen gebraucht werden. Von Vertriebs-Einheiten werden hohe Umsätze durch neue Features verlangt, während die Teams in der Anwendungs-Entwicklung mehr Ressourcen für Refactoring brauchen um ihre Stabilitätsziele zu erreichen. Etc. Die aus diesen und vergleichbaren Fällen entstehende gegenseitige Behinderung ist absehbar.


Auf den ersten Blick scheint diese Betrachtung tragisch zu sein, werden hier doch eigentlich altruistische Mitmenschen durch Systemzwänge in eine gegenseitige Sabotage getrieben, die sie von sich aus nie anstreben würden. Auf den zweiten Blick ist das Erkennen dieser Zusammenhänge aber Grund zum Optimismus: es ist möglich die Krabbenkorb-Mentalität verschwinden zu lassen - man muss dafür nur die Rahmenbedingungen verändern.

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