Kommentierte Links (LXV)
Bild: Unsplash / Dayne Topkin - Lizenz |
Adam Tooze: The Sociologist Who Could Save Us From Coronavirus
Wieder einer dieser Momente in denen mich die Vergangenheit als Geisteswissenschaftler einholt. Das Buch Risikogesellschaft von Ulrich Beck habe ich im Studium gelesen, dann aber irgendwo zu weit im Hiterkopf abgelegt um noch daran zu denken. Vermutlich zu Unrecht. Wie Adam Tooze hier sehr schön herausarbeitet ist Beck heute noch hochaktuell. Bei ihm bezieht sich das auf die Weltlage, aber es lässt sich auch auf die Entwicklung komplexer Produkte übertragen: um Neues zu schaffen und Bestehendes zu erhalten gehen die Menschen permanent Risiken ein, weil anders Modernität und Fortschritt nicht mehr erreichbar sind. Diese treten dann zum Teil ein und werden ausgeglichen, wobei neue Risiken entstehen und in Kauf genommen werden. Ein etwas anderer aber hochinteressanter Zugang zur Untersuchung von Komplexität.
Barry O'Reilly: How to Implement Hypothesis-Driven Development
Zu den Buzzwords die sich in der agilen Bewegung festgesetzt haben gehört auch die Hypothese. (Unbewusst?) aufbauend auf den Kritischen Rationalismus soll dieser Begriff anzeigen, dass alles was wir über Märkte, Kunden und Benutzer zu wissen glauben lediglich Annahmen sind, die validiert werden müssen um eine wirkliche Aussagekraft zu haben. Angelehnt an die legendäre User Story-Schablone hat Barry O'Reilly etwas Vergleichbares für Hypothesen entworfen.-
We believe
<this capability> Will result in <this outcome> We will have confidence to proceed when <we see a measurable signal>
Wie bei der User Story-Schablone besteht zwar auch die Hypothesen-Schablone das Risiko einer Abdriftung in den Methodismus, für noch ungeübte Anwender kann sie aber eine Erinnerungshilfe sein durch die sich verhindern lässt, dass Annahmen als zu selbstverständlich betrachtet werden oder nicht validiert werden. -
We believe
Steve Denning: Understanding What Good Agile Looks Like (Teil 1, Teil 2)
Da wir von (scheinbar) einfachen Anleitungen reden - auch diese Artikel von Steve Denning enthalten eine (hier in zwei Versionen direkt verlinkt), in diesem Fall um zu überprüfen ob eine Firma klassisch oder agil strukturiert ist. Das was sie von anderen derartigen Prüflisten unterscheidet ist, dass sie sich nicht auf Implementierungsdetails konzentriert, etwa ob alle Teams nach Scrum arbeiten, sondern stattdessen aufeinander aufbauende Ebenen identifiziert und ihnen Erkennungsmerkmale zuordnet. Das sind zum Beispiel auf der obersten Ebene Unternehmensstruktur und Erfolgs-Definition, auf der mittleren Budgetierungs- und HR-Prozesse und auf der unteren Arbeitseinstellungen und Umgangsformen. Der Anspruch dieser Liste ist es, alles auf richtig verstandene Agilität überprüfbar zu machen, vom eigenen Unternehmen über Beratungs-Dienstleistungen bis zur Management-Literatur. Ob das durchgehend realistisch ist kann man dahingestellt lassen, eine wertvolle Inspiration ist es aber auf jeden Fall.
Mark Gray: The Definitive Guide to Burn-down Charts
Ein schöner Artikel über die möglichen Vor- und Nachteile die sich aus der Verwendung von Burndown-Charts (die ja eines der klassischen Erkennungsmerkmale von Scrum sind) ergeben. Bemerkenswert ist hier vor allem ein Vergleich von sechs derartigen Charts (etwas weiter unten im Text) die sich zwar alle auf den selben Arbeitsstand beziehen, sich aber z.T. deutlich unterscheiden, je nachdem was da "heruntergebrannt" wird. Im dazugehörigen Text erfolgt auch die Erklärung welche dieser Messtechniken man benutzen sollte und welche besser nicht. Kurz zusammengefast: erzeugten Mehrwert und fertig integrierte Arbeitspakete in Burndown-Charts darzustellen ist eine gute Idee, vorher geschätzte Restaufwände und unintegrierte Arbeit erzeugen dagegen in derartigen Darstellungen keine verlässlichen Werte.
Kaluhi Anzigale: What Happens When Agile Goes Away?
Zum Schluss eine Fallstudie. In einer Geschichte die sie selbst miterleben durfte erzählt Kaluhi Anzingale von einer Firma die versucht hat sich durch das Einsparen agiler Rollen und Praktiken profitabler zu machen. Ein Happy End gibt es nicht, die Einsparungen wurden durch die negativen Effekte mehr als ausgeglichen. Dass es nicht viele derartige Studien gibt ist nachvollziehbar, denn wer will schon sein Missmanagement laut verkünden? Um so wertvoller sind Texte wie dieser.