Montag, 17. August 2020

Digitalisierung (III)

 

Bild: JBSA / Zachary Bumpus - Public Domain

Zu den verwunderten bis spöttischen Reaktionen auf die in nahezu allen grossen Unternehmen und Behörden laufenden Digitalisierungsprogramme gehört die Frage warum es denn heute noch einen Bedarf dafür geben würde. Sollte die Digitalisierung von Büro- und Datenhaltungsprozessen nicht schon seit Jahrzehnten abgeschlossen sein? Die Antwort: leider nein, und aktuelle Ereignisse lassen erkennen auf warum das so ist.

 

Eine in den letzten Tagen durch die Medien gegangene Meldung handelte von fehlender Digitalisierung: an Urlaubsrückkehrern durchgeführte Krankheits-Tests fanden direkt an den Grenzen statt, wobei die Dokumentation von Kontaktdaten und Test-IDs auf Notizblöcken erfolgte. Diese Daten in die Systeme der Gesundheitsämter zu übertragen war aufwändig und manchmal wegen unleserlicher Schrift unmöglich, weshalb hunderte Menschen nicht von ihrer Erkrankung erfuhren


Die Gründe dafür, dass hier keine digitalisierte Datenerfassung stattfand sind schnell zu erkennen - die dafür notwendige Hardware hätte zuerst gekauft und die dazugehörige Software programmiert werden müssen, die Geräte hätten verteilt werden müssten und das Personal müsste geschult, und das alles unter immensem Zeitdruck, da die Ferienrückreiseverkehr sich nicht verzögern liess. Das manuelle Festhalten dürfte trotz der Probleme das Schnellste und Beste gewesen sein was so schnell machbar war.


Und selbst wenn derartige Behelfslösungen durch den Einsatz digitaler Techniken ersetzt werden ist der Digitalisierungsprozess dadurch nicht zwingend abgeschlossen, das zeigt eine andere Meldung: in anderen Testzentren gingen Dokumente zwar auf digitalem Weg ein, allerdings mit einer veralteten, eher für Einzelfallnutzung gedachten Software. Die Folge: mehrere tausend verschiedene Dokumente hatten den identischen Dateinamen "Telefax.pdf" und mussten einzeln gesichtet und umbenannt werden.


Auch hier kann man den Hintergrund verstehen - eine modernere Software wäre zwar erstrebenswert gewesen, deren Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen. Die Fax-Schnittstelle dagegen existiert bereits und ermöglicht eine zwar umständliche, im Vergleich zur manuellen Erfassung aber deutlich schnellere Datenerfassung, mit der man erstmal anfangen konnte. Das Ergebnis ist eine schrittweise Digitalisierung: erst der Posteingang, dann die Benennung, dann die Sortierung, etc.


Aus "agiler Sicht" sind diese Vorgehensweisen hochgradig sinnvoll. Statt lange auf ein fertig entwickeltes Stück Software zu warten kann man mit einfachen aber schnellen Lösungen erste Erfahrungen sammeln, die Erkenntnisse in die parallel verlaufende Weiterentwicklung einfliessen lassen und dadurch am Ende bessere Ergebnisse haben. Um ein letztes mal die deutsche Seuchenbekämpfung zu nennen: dieser Ansatz wird hier genutzt und vom Ausland als vorbildlich empfunden.


Das Risiko ist allerdings, dass an irgendeinenem Punkt die noch nicht digitalisierten Prozesschritte in Relation zu anderen Aufgaben so unwichtig erscheinen, dass sie "wegpriorisiert" werden. Diese Restbestände sind es, wegen denen viele Digitalisierungsprogramme auch nach Jahrzehnten noch nicht abgeschlossen sind.

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