Donnerstag, 25. Juni 2020

Paper Prototyping

Bild: Flickr / Rosenfeld Media - CC BY 2.0
In Ansätzen wie Lean Startup und Design Thinking stehen MVPs und Prototypen im Vordergrund, also frühe, mit möglichst wenig Aufwand erzeugte Arbeitsergebnisse, die aber trotzdem schon einen so guten Eindruck vom späteren Produkt geben, dass auf dessen Basis ein erstes Benutzerfeedback eingeholt werden kann. Diese Gleichzeitigkeit von möglichst wenig Aufwand und möglichst gutem Eindruck ist natürlich eine Herausforderung, die nur mit bestimmten Techniken gemeistert werden kann. Eine der bekanntesten unter ihnen ist das Paper Prototyping.

Die grundlegende Idee ist simpel - statt mit relativ viel Arbeit irgendetwas Vorzeigbares in digitalen Design-Tools zu entwerfen, es zu programmieren und es dann auf ein Vorführgerät oder eine Vorführumgebung zu bringen wird einfach ein Entwurf mit Stiften auf ein Papier gemalt und der dann der Zielgruppe vorgelegt. Die muss dann nur noch die Frage beantworten ob er ihr gut genug gefällt um mit mehr Aufwand in eine echte Umsetzung zu gehen. Wenn nicht kann man verbessern - oder abbrechen ohne Investitionen zu verlieren.

Für jemanden der einen solchen Papier-Prototypen noch nie gesehen hat (oder nur solche die dilettantisch erzeugt wurden) wird dieser Ansatz zuerst merkwürdig klingen. Ein bemaltes Papier soll ausreichend sein um verwertbares Nutzerfeedback zu erzeugen? Die Skepsis ist berechtigt, wie so oft gilt auch hier, dass man eine gelungene Anwendung gesehen haben muss bevor man sich etwas darunter vorstellen kann. Glücklicherweise gibt es im Internet genug gute Beispiele, wie etwa dieses Video (nur eine Minute lang):



Gut sichtbar sind hier einige Erfolgsfaktoren: die hier gezeigten Prototypen sind durch Color Coding und minimalistisches Design so übersichtlich gestaltet, dass eine Konzentration auf die zentralen Funktionen stattfindet, die aufeinanderfolgenden "Screens" simulieren einen Bedienungsablauf (was dann durch den "Vorführ-Rahmen" noch besser erfahrbar wird) und durch Elemente wie die Klappmeüs und die Post It-Schnipsel ist bereits eine echte Interaktion möglich.

Anhand dieses Beispiels kann man es sich schon besser vorstellen wie ein Paper Prototype zu Vorführzwecken verwandt wird. Auch von der dadurch möglichen Geschwindigkeit bekommt man eine Vorstellung - ein geübter Zeichner wird in der Lage sein das Feedback der Testgruppe innerhalb von Minuten in einen verbesserten und direkt wieder testbaren Prototypen einzuarbeiten, ein Tempo mit dem kein noch so guter digitaler Entwurf mithalten kann.

Natürlich gibt es bei diesem Vorgehen auch Risiken, von denen als wichtigstes die Illusion einer einfachen Umsetzbarkeit zu nennen ist (ich durfte einmal miterleben wie ein Team aus UX-Designern einen vom Kunden gefeierten Prototypen einer Website erstellte, nur um nachher zu erfahren, dass die Umsetzung die halbe IT ein Jahr lang beschäftigt halten würde). Durch eine frühe Einbindung der IT in den Prototyping-Prozess lässt sich die Wahrscheinlichkeit solcher Missverständnisse aber reduzieren.

Trotz dieses Risikos ist Paper Prototyping aufgrund der genannten Vorteile vor allem in den frühen Phasen einer Produktentwicklung wärmstens zu empfehlen, das schnelle Feedback und die Möglichkeit einer extrem frühen Verbesserung des Produkts wiegt die möglichen Nachteile klar auf. Und im schlimmsten Fall muss man nichts verwerfen ausser den ersten Blättern eines Papierblocks, bevor man mit den nächsten Blättern den nächsten Prototypen baut.

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