(Kein) Powerpoint
Eine Beobachtung die man bei vielen Scrum Mastern und Agile Coaches machen kann ist die, dass sie selten bis nie Powerpoint oder vergleichbare Programme benutzen. Stattdessen wird auf Flipcharts, Whiteboards und Tafeln gemalt und geschrieben, Post Its werden an die Wand geklebt und Karten hochgehalten. Das ist eine derartig zentrale Abweichung von den üblichen Gepflogenheiten des Büroalltags, dass sich ein näherer Blick auf die Ursachen lohnt.
Als wichtige historische Rahmenbedingung ist zunächst die Herkunft der heutigen agilen Frameworks aus der IT zu nennen. Viele Scrum Master haben früher in ihrer Karriere Code geschrieben und sind daher daran gewöhnt, dass Arbeitsergebnisse auch nüchtern, schlicht und schmucklos sein können. Vor allem das für Präsentationen typische "Aufhübschen" ist in diesem Berufsverständnis irrelevant. Entweder etwas macht Sinn oder eben nicht, Ästhetik ist da eher sekundär.
Die zweite "historische Wurzel" ist die starke Abgrenzung der aus den Umsetzungs-Einheiten entstandenen agilen Bewegung zu den sich eher an das Management richtenden klassischen Unternehmensberatungen. Selbst bei den mittlerweile existierenden agilen Beratern wird dieser Unterschied weiterhin kultiviert und äussert sich neben der Ablehnung von beratertypischem Kleidungsstil und Fachjargon auch in der Meidung von Powerpoint als dem klassischen Beraterwerkzeug.
Neben diesen historisch-ideologischen Gründen gibt es aber auch ganz praktische wegen denen digitale Folienschlachten abgelehnt werden. Der offensichtlichste: das meistens groteske Missverhältnis zwischen Erstellungsaufwand und Nutzungsdauer. In grossen Organisationen fliessen oft Stunden oder sogar Tage in übertrieben perfektionistische Präsentationen, die dann nur für Minuten an die Wand geworfen werden. Wer die Steigerung von Effektivität und Effizienz zu seinem Beruf gemacht hat wird das instinktiv verabscheuen.
Ebenfalls ein Ärgernis ist das Verhalten von Meeting-Teilnehmern, das durch Powerpoint getriggert wird. Präsentationen mit vielen Informationen, mit gutem Design oder mit Animationen und eingebetteten Medien (und irgendetwas davon ist fast immer vorhanden) ziehen automatisch die Aufmerksamkeit weg vom Vortragenden und hin zum Bildschirm oder Beamer. Die Folge ist ein Fehlen von Focus und Verständnis, wodurch Termine nachhaltig entwertet werden.
Zuletzt zwingt ein vorbereiteter Foliensatz einem Meeting, bzw. einem Referenten eine starre Agenda auf. Wenn im Rahmen der Durchführung Gesprächsbedarf zu neuen Themen entsteht wird der häufig nicht bedient, da ja keine Folien dafür vorliegen. Und selbst wenn Themenblöcke nur untereinander vertauscht werden wird das Vor- und Zurückspringen (samt des kurzen Auftauchens der dazwischenliegenden Folien) den Ablauf für den Vortragenden hektisch und für die Zuhörer verwirrend machen.
Mit während des Meetings beschrifteten Flipcharts und Whiteboards treten all diese Probleme nicht mehr auf, weshalb sie mit der Zeit zu den bevorzugten Präsentationsmitteln von Scrum Mastern und Agile Coaches geworden sind. Es erfordert zwar gewisse Fertigkeiten in den Bereichen Tafelschrift und Visualisierung, die sind aber erlernbar. Und als unbeabsichtigter Nebeneffekt wirkt das gleichzeitige Miteinander von Vortrag und Visualisierung häufig so beeindruckend, dass es zur Soft Power of Scrum beiträgt.