Montag, 10. Februar 2020

Wie junior darf ein Scrum Master sein?

Bild: Pexels / Kyla Daw - Lizenz
Ein erkennbarer Trend der letzten Jahre ist der, dass der Scrum Master (bzw. dessen Entsprechungen) zu einem Ausbildungsberuf wird. Wie bei allen anderen IT-nahen Jobs ist es auch hier so, dass der Fachkräftemangel es schwierig bis unmöglich macht genug geeignete Kandidaten für alle offenen Stellen zu finden. Um den zu begegnen finden in vielen Firmen Umschulungen und Ausbildungen statt,1 was die Frage nach den Auswahl- und Zulassungskriterien mit sich bringt. Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist das Alter, bzw. die Berufserfahrung. Sollten die angehenden Scrum Master Berufs- und/oder Lebenserfahrung mitbringen oder kommen auch Berufseinsteiger und Mitarbeiter mit erst wenigen Jahren im Job in Frage?

In vielen Fällen wird diese Frage so beantwortet, dass eher jüngere Mitarbeiter in die Ausbildungen geschickt werden. Gründe dafür gibt es mehrere. Zum einen gilt Agilität noch immer als etwas Neues und damit auch irgendwie Jugendliches (was man oft an den Ausschreibungen erkennt), des Weiteren gibt es die noch immer verbreitete Ansicht, dass das Lernen und ausgebildet Werden nur an den Anfang der Karriere gehört. Auch wird häufig davon ausgegangen, dass langgediente Kollegen schon so sehr in festen Denkspuren unterwegs sind, dass sie sich mit Neuerungen schwer tun. Zuletzt sind Nachwuchskräfte einfach billiger (solange man nur das Gehalt betrachtet) und passen so besser ins Budget. Aber - so nachvollziehbar diese Begründungen auch sein mögen, die Entscheidung für die Jugend sollte kritisch hinterfragt werden.

Um die Rolle des Scrum Masters ausüben zu können ist in nicht unwesentlichem Ausmass Vorwissen nötig. Der Scrum Guide erwähnt unter den Standard-Tätigkeiten einige, deren Bewältigung ohne Erfahrungen kaum möglich ist. "Ensuring that goals, scope, and product domain are understood [...] as well as possible", "Understanding product planning in an empirical environment" und "Helping the Development Team to create high-value products" sind drei Beispiele dafür, gleichzeitig zeigen sie auch gut auf, dass das Vorwissen nicht zwingend aus bisherigen Scrum Team-Mitgliedschaften kommen muss. Man kann es auch auf andere Weise erworben haben, erworben haben sollte man es aber.

Noch wichtiger wird die Erfahrung in einem zweiten Bereich. Gleich drei mal wird im gerade erwähnten Abschnitt des Scrum Guides definiert, dass der Scrum Master als Coach tätig sein muss, und zwar sowohl für die einzelnen Mitglieder des Entwicklungsteams als auch für die gesamte Organisation. Und obwohl es keine allgemein gültige Definition von Coaching gibt ist in praktisch jeder Beschreibung explizit oder implizit enthalten, das der Coach sein Charisma zu einem grossen Teil aus seiner Berufs- und Lebenserfahrung bezieht. Er muss nicht zwangsläufig ein alter Mann mit langem weissen Bart sein, er sollte aber glaubhaft vermitteln können in seinem Feld über breites Wissen zu verfügen, wenn er von seinen Coachees akzeptiert werden soll.

Ein dritter Grund dafür, dass Scrum Master eine gewisse Seniorität haben sollten ist der, dass von ihnen erwartet wird ihre Firmen zu führen und zu verändern. Auch hier ist der Scrum Guide eindeutig: "Leading [...] the organization in its Scrum adoption", "Planning Scrum implementations within the organization" und "Working [...] to increase the effectiveness of the application of Scrum in the organization" sind klare Beschreibungen von (Change-)Management-Tätigkeiten. Die können zwar in der Theorie von jedem verantwortet werden, die Übertragung von derartiger Verantwortung an unerfahrene Kollegen ist aber sehr unwahrscheinlich (siehe auch Ist der Scrum Master ein Manager?).

All das spricht also dafür, dass es eher erfahrenere Kräfte sein sollten, die die neue Rolle übernehmen. Selbst wenn es beim Nachwuchs natürlich auch Ausnahme-Erscheinungen geben mag - die meisten eher junioren Kollegen dürften aus den genannten Gründen Schwierigkeiten haben ihre Rolle auszuüben. Es bleibt die letzte Frage - kann man diese Tätigkeiten dann nicht aus ihr herausnehmen? Die Antwort darauf findet sich ebenfalls im Scrum Guide: "Although implementing only parts of Scrum is possible, the result is not Scrum". Mit anderen Worten: man kann das zwar machen, sollte dann aber seine Erwartungshaltung an das Ergebnis herunterschrauben.


1Es gibt auch Firmen die glauben, dass man für den Job nur den zweitägigen Zertifizierungskurs braucht. Die haben andere Probleme.

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