Lokale Optimierung (II)
Bild: Pixabay / Carlotta Silvestrini - Lizenz |
Wenn man den hin und wieder als Verursacher vorkommenden "Faktor Mensch" (in Form übereifriger Mittelmanager) und das gelegentlich auftretende Gesetz der Penetranz der negativen Reste ausser acht lässt bleibt vor allem ein immer wiederkehrender Auslöser für derartige Einsparversuche - ein globales Sparprogramm wird auf alle Teile des Unternehmens umgeschlagen, z.B. muss jeder 10 % weniger ausgeben. Das trifft dann auch Einheiten wie das Catering, das dann nur noch an einer Stelle einsparen kann: der Bewirtung.
Was dabei beachtet werden muss: aus einer Topmanagement-Perspektive macht dieses Vorgehen meistens Sinn. Würden derartige Optimierungen nicht einheitlich auf alles ausgerollt, würde sehr schnell fast jede Einheit beantragen, dass gerade bei ihr eine Ausnahme gemacht werden müsste. Die Begründungen dafür sind meistens so detailspezifisch, dass sie nur mit grösserem Verständnisaufwand nachvollziehbar wären, wofür schlicht die Zeit fehlt. Um dieser Situation zu entgehen fällt der Sparhammer auf alles.
Aus der operativen Perspektive ist die Sicht dagegen eine andere: ich habe schon verschiedene derartige herunterkaskadierte Detail-Sparmassnahmen erlebt, von der oben genannten Reduzierung der Bewirtung über das Verbinden der Beleuchtung mit Bewegungsmeldern bis hin zum Abzählen von Flipchart-Blättern für einzelne Meetings. Das Ergebnis in praktisch jedem einzelnen Fall - am Ende war nichts billiger und vieles sogar teurer als vorher.
Die offensichtlichste Art der Verteuerung entsteht durch Verwaltungsaufwände. Wenn ein Meeting-Organisator z.B. für jeden seiner Termine drei abgezählte Flipchart-Blätter aus einer Materialausgabe abholen muss, sind alleine die dafür nötigen Arbeitszeiten so teuer, dass man den Raum damit tapezieren könnte. Und wenn für das Abzählen und Aushändigen ein Mitarbeiter durchgehend in der Materialausgabe sitzen muss, vervielfachen sich die Kosten.
Auch das Stromspar-Beispiel hatte ähnliche Effekte. Da in allen Räumen das Licht ausgehen musste wenn die Sensoren keine Bewegung wahrnahmen sassen regelmässig Mitarbeiter in den Toiletten-Kabinen im Dunkeln. Diese waren so eng, dass selbst heftiges Winken ausserhalb des Aufzeichnungsbereichs der Bewegungssensoren stattfand. Notgedrungen wurden die "Geschäfte" jetzt in den Stockwerken verrichtet in denen die Toiletten Fenster hatten. Die täglichen Wanderungen dorthin dauerten lange und kosteten damit Arbeitszeit und Produktivität.
Am teuersten waren aber (und hier kommen wir wieder zur Siemens-Geschichte) die Einsparungen bei Kaffee, Wasser und Keksen. Das Gefühl auf einer unnötig kleinteiligen Ebene gegängelt zu werden, einschliesslich einer spürbaren Beeinträchtigung der Arbeitsbedingungen (wer einmal mit trockenem Mund vortragen musste kennt das Problem) führte zu einem heftigen und kostspieligen Absacken von Arbeitsmoral, Motivation, Eigeninitiative, Effektivität und Qualität.
In allen Fällen ergaben die lokalen Optimierungen nur bei isolierter Betrachtung Sinn, aus systemischer Sicht waren sie unsinnig und kontraproduktiv. Die Ironie der Geschichte: ausgelöst wurden sie aber durch den (fehlgeleiteten) Versuch, am Gesamtsystem zu arbeiten.
Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen wäre in den meisten Fällen ein anderes Vorgehen sinnvoll. Statt auf intransparente und nicht nachvollziehbare Einzelprozesse mit generischen Vorgaben für alle Einheiten zu reagieren kann man versuchen sie transparent und nachvollziehbar zu machen und dann ihre Interaktionen zu optimieren. Und an der Stelle schliesst sich der Kreis - das kann aufgrund der damit verbundenen Komplexität nur gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern gelingen, die sich aber nur beteiligen werden wenn sie nicht befürchten müssen dann von Micromanagement und lokalen Pseudo-Optimierungen betroffen zu sein.