Features entsorgen
Bild: Wikimedia Commons / Hyena - CC0 1.0 |
So richtig und wichtig dieses Vorgehen auch ist, wird es genau so durchgeführt verursacht es aber auch Probleme. Die Codebasis wird immer grösser, die Seitenauswirkungen der Weiterentwicklung werden unvorhersehbarer, die Regressionstests umfangreicher, die Zielgruppen diverser und die die Kundenfeedbacks zahlreicher und uneinheitlicher. Infolge dessen muss ein immer grösserer Teil der Entwicklungszeit für Instandhaltung, Qualitätssicherung und Abstimmungen verwandt werden. Die Durchlaufzeiten werden höher, die Incremente kleiner, die Agilität sinkt.
Die beste Möglichkeit dem entgegenzuwirken ist eine regelmässige Reduzierung des Funktionsumfangs. Den zuvor genannten Entwicklungen wird damit entgegengewirkt, die Produkte werden schlanker und beweglicher und mit ihnen die gesamte Organisation. Die spannende Frage ist jetzt: welche Features sollte man entsorgen? Die leidige Antwort: es kommt drauf an. Naheliegend ist es, die am wenigsten genutzten zuerst auszubauen, aber auch andere sind möglich - die am wenigsten gewinnbringenden, die wartungsaufwändigsten, die am wenigsten zur Firmenidentität passenden und gegebenenfalls noch viele mehr. Egal welche es letztendlich sind - einige müssen daran glauben. Müssten. Eigentlich.
Das alles findet leider nur sehr selten statt, in der Regel deshalb weil ein solches Vorgehen nicht zu den Grundsätzen passt nach denen in vielen Firmen Produktentwicklung stattfindet. Ressourcen und Kapazitäten werden dorthin geleitet wo es Kunden und Umsätze zu gewinnen gibt, nicht dorthin wo Komplexität reduziert wird. Und wenn sogar eine kleine aber treue Benutzergruppe verloren gehen würde werden Diskussionen oft vom jeweils zuständigen Management-Team abgeblockt. An diesen Stellen braucht es Gesamtverantwortung und systemisches Denken. Nur wer die hat erkennt, dass die globale Verbesserung die lokale Verschlechterung aufwiegt.
Wie in vielen anderen Aspekten sind auch hier die kalifornischen IT-Unternehmen vorbildlich. Mit iGoogle, dem Google Reader, Facebook Paper, Instagram Maps, Twitter Vine und vielen mehr gibt es mittlerweile eine erstaunliche Menge entfernter Features und sogar ganzer Produkte, darunter auch solche mit treuen Usern und andere die früher sogar als strategische Zukunftsprojekte galten. Sucht man also nach Beispielen und Argumentationshilfen in dieser Sache - hier findet man sie reichlich. Du willst sein wie Google und Facebook? Dann fang an indem Du die Axt an die eigenen Features legst.