Donnerstag, 12. September 2024

Welchen Zweck haben Meetings?

Bild: Pexels / Tima Miroshnichenko - Lizenz

Wenn es ein Dauerbrenner-Thema in jeder halbwegs grossen Organisation gibt, dann sind es Meetings. Und der Tenor ist immer der selbe: es sind zu viele, sie sind zu lang, sie sind langweilig und ein Grossteil der Anwesenden kann nichts beitragen. Auf die Frage wie es besser ginge folgt dann meistens ein undifferenziertes "einfach weniger Meetings!", was aber nicht hilfreich ist. Lässt man nämlich einfach einige weg, entstehen meistens Verzögerungen oder Unterbrechungen im Informationsfluss.


Dass ein Grossteil aller Meetings gleichzeitig unerträglich und unersetzlich erscheint, ist dabei Teil des Problems - sehr viele der eingestellten Termine haben keinen inhaltlichen Focus, sondern es handelt sich um die Regelmeetings von Organisationseinheiten (die legendären Team-, Abteilungs-, Projekt- oder Technik-Runden). In ihnen wird alles abgehandelt was irgendwo gerade anliegt, mit der Folge, dass auch Nicht-Betroffene es sich anhören müssen, nur weil sie Teil der selben Organisationseinheit sind.


Da jedes dieser Themen aber für irgendeinen Zweck wichtig ist, ist ein einfaches Abschaffen keine praktikable Lösung. Zielführender ist es, diese Zwecke zu identifizieren und danach gleichartige Themen in Meetings zu konzentrieren, zu denen dann nur diejenigen eingeladen werden können, die benötigt werden oder ein Interesse haben. Bestenfalls werden die für den einzelnen Teilnehmer dadurch sowohl weniger als auch relevanter. Also: welche Kategorien könnte es geben?


Teilnehmer-Status sichtbar machen

Man mag davon halten was man will, aber Meetings können Statussymbole sein, denn in einem Führungskreis oder einer Expertenrunde eingeladen zu sein kann als Bestätigung der eigenen Bedeutung oder Expertise verstanden werden. Wenn sie nur diesen Zweck haben sind derartige Termine wenig sinnvoll aber politisch bedeutsam. Wenn man sie nicht abschaffen kann, kann man sie zumindest seltener stattfinden lassen oder verkürzen (z.B. zu einem 15-minütigen "Leadership Daily").


Berufliche Existenzberechtigung sichern

Ein weiterer etwas schräger Fall. Viele Führungsrollen (manche Manager, aber auch einige Scrum Master) laden vor allem deshalb zu Meetings ein, um sich durch deren Moderation oder durch dort festgestellte Unterstützungsbedarfe selbst Arbeit zu erzeugen, die man später als Nachweis der eigenen Mehrwertstiftung vorweisen kann. Auch das ist inhaltlich verzichtbar aber politisch heikel, ggf. müssen diese Rollen bei einer Abschaffung dieser Termine andere sinnstiftende Tätigkeiten bekommen.


Reporting und Controlling

Vermutlich der Klassiker unter den Meeting-Formaten. Irgendwer hat irgendwelche Aufgaben aus einem der letzten Termine mitgenommen und berichtet wie weit er gekommen ist. Das ist vor allem dann problematisch, wenn es in generische Meldungen wie "ich bin weiter dran" verflacht. Ein sinnvoller Umgang kann sein, nur dann einen Bericht abzugeben wenn es einen Fortschritt gibt, und den ggf. auf den Hinweis zu beschränken, dass es für alle Interessierten einen separaten Termin gibt.


Ein Ventil bieten

Auch das darf man nicht unterschätzen: für viele Menschen, die sonst weitgehend alleine arbeiten, bieten Meetings die Möglichkeit Luft abzulassen und sich Frust und Sorgen von der Seele zu reden. Diese Funktion kann durchaus hilfreich sein, es besteht aber das Risiko, dass das Ranten und Jammern alle anderen Themen überlagert. Ein sinnvoller Weg kann sein, das bewusst einzuplanen, es aber auch mit (Zeit-)Grenzen zu versehen (hier ein Beispiel dafür).


Kommunizieren

Eine der positiveren Kategorien. Meetings können genutzt werden um Informationen zu verteilen. Wichtig ist dabei, dass es sich nicht nur um Einweg-Kommunikation handelt (dann würde meistens eine Email reichen), sondern durch Nachfragen und Erklären ein besseres Verständnis möglich wird. Ebenfalls hinterfragen kann man, ob alles kommuniziert werden sollte "was gerade so anliegt" oder ob kleinere themenspezifische Termine mehr Focus und Mehrwert stiften würden.


Entscheiden

Vielleicht der idealtypische Meeting-Zweck. Während Vorarbeiten oder Informationsbeschaffung meistens dezentral und asynchron erfolgen können, ist das bei Entscheidungsfindungen (bzw. den dazugehörenden Diskussionen) nur schwer möglich. Alle Beteiligten in einen Raum oder Call zu holen, alle Argumente zu hören und eine Management- oder Mehrheitsentscheidung herbeizuführen ist der bei Weitem effektivste und effizienteste Weg damit umzugehen.


Lernen

Egal ob Retrospektive, Kaizen-Event, Post Mortem, Schulterblick oder Near Miss - es gibt eine grosse Vielfalt von Meetings die dem Thema Lernen gewidmet sind (und idealerweise auch die darauf aufbauende Arbeit an Verbesserungsschritten enthalten). Man kann auch nicht viel dagegen sagen, mit vielleicht einer Ausnahme - aus Fehlern zu lernen ohne daran zu arbeiten (oder daran arbeite zu dürfen) sie in Zukunft zu vermeiden, ist auf Dauer frustrierend. Aber das kommt zum Glück selten vor.


Zusammenarbeiten

Ein Grenzfall, da viele Menschen zwischen Meetings und "der eigentlichen Arbeit" unterscheiden. Zumindest in Kreativ- und Wissensberufen ist diese Trennung aber nicht aufrechtzuerhalten, hier kann es auch Arbeitstermine geben, in denen von Brainstorming bis Mob Programming alles Mögliche stattfinden kann. Und in Remote-Settings ist der Kalendereintrag für eine gemeinsame Arbeit an irgendetwas nicht mehr von einem Meeting zu unterscheiden.


Alleine Arbeiten

In Unternehmen mit vollen Kalendern kann auch diese ungewöhnliche Form von Terminen auftreten: in ihnen (oder in ihrem ersten Teil) findet keine Interaktion zwischen den Teilnehmern statt, stattdessen sind sie ein Blocker um alleine (aber in einem Raum mit den anderen) eine Tätigkeit zu erledigen, die dann für einen weiteren, interaktiven Teil benötigt wird. Das bekannteste Beispiel dürften die PR/FAQ-Dokumente sein, die zu Beginn jedes Meetings bei Amazon von jedem gelesen werden müssen.


Beziehungen entwickeln

Eigentlich ein Nebeneffekt, der vor allem in Umgebungen wichtig ist, in denen sich die Menschen zwischen ihren Meetings nur selten oder gar nicht sehen. Da der nachvollziebare Wunsch nach persönlichem Kennenlernen und Austauschen nicht mehr durch Kantinengespräche o.Ä. erfüllt werden kann, tauchen private Themen hier auch in beruflichen Meetings auf. Ein sinnvoller Umgang damit kann sein, spezielle Meetings nur für diesen Zweck einzurichten.1


Anerkennung geben und Erfolge feiern

Ob Projekt-Resultate, steigende Kennzahlen oder andere Erfolge - die meisten Menschen freuen sich darüber, ihre Arbeitsergebnisse zeigen zu können, Anerkennung dafür zu bekommen oder anderen Anerkennung dafür zu geben. Auch das kann in Meetings passieren, entweder explizit mit diesem Zweck oder implizit, z.B. wenn bei Ergebnis-Präsentationen bestimmte Beiträge besonders lobend hervorgehoben werden.


Wie immer bei derartigen Aufzählungen liessen sich sicher noch weitere Kategorien finden, die wichtigsten dürften aber enthalten sein. Wie zu Beginn gesagt, sobald die Identifikation dieser Kategorien, bzw. Meeting-Zwecke stattgefunden hat, kann man bei einer Neustrukturiereung versuchen, die Meetings so zu restrukturieren, dass sie nur noch einem oder wenigen dieser Zwecke dienen, um so klarer zu machen, wer wo benötigt wird und wer nicht.



1Was in vielen Unternehmen zu der Frage führt, ob das bezahlte Arbeitszeit ist oder nicht.

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