Donnerstag, 19. Dezember 2019

Velocity

Bild: Pexels / Mike Birdy - Lizenz
Es gibt Konzepte aus dem Umfeld der agilen Frameworks, die von vielen Teams und Managern mit Begeisterung aufgenommen werden. Man verspricht sich von ihnen das was (scheinbar) durch die Agilität verloren geht: Planbarkeit und Berechenbarkeit. Unter diesen Konzepten ist die Velocity, auf deutsch Durchschnittsgeschwindigkeit, eines der beliebtesten, aber auch eines der am häufigsten falsch verstandenen. Zeit für einen näheren Blick.

Normalerweise wird unter diesem Begriff die durchschnittliche Menge an Story Points verstanden, die ein (Scrum-)Team in einem Sprint fertigstellt. Beispielsweise würde bei 12 Punkten in Sprint I, 14 in Sprint II und 10 in Sprint III eine Velocity von 12 entstehen. In vielen Firmen wird dieser Wert verwandt um die verbleibende Dauer der Produkterstellung zu planen. Dafür wird das Team aufgefordert den verbleibenden Aufwand in Story Points zu schätzen, um diese danach auf einem projizierten Zeitstrahl zu verteilen.

Dieses Vorgehen erscheint auf den ersten Blick naheliegend, enthält aber einen Denkfehler, der sich aus dem folgenden Vergleich erschliesst: bei einem Auto das mit Durchschnittsgeschwindigkeit 120 km/h unterwegs ist, bezieht sich dieser Wert auf die Strecke hinter dem Auto, nicht auf die Strecke vor ihm. Er ist lediglich ein statistischer Mittelwert der Vergangenheit, ob er in Zukunft über- oder unterschritten werden wird, hängt von vielen Faktoren ab: Strassenzustand, Wetter, Verkehrsdichte, Tankfüllung, etc.

Das gilt in gleicher Weise auch für die Produktentwicklung. Gerade im Bereich komplexer Produkte stellt diese keine berechenbare Serienfertigung dar, sondern eine Abfolge von aufeinander aufbauenden und sich unvorhersehbar beeinflussenden Prototypen oder MVPs. Diese können sich in der Zukunft grundlegend anders verhalten als in der Vergangenheit, weshalb die Projektion alter Erfahrungswerte auf die weitere Planung immer wieder auf Probleme stossen wird. Die Nutzung der Velocity zu Planungszwecken ist daher sehr unzuverlässig (und jede andere Art der Prognose wäre es auch).

Das heisst nicht, dass die Erhebung der Velocity völlig unsinnig wäre, man kann durchaus Nutzen aus ihr ziehen. Dieser besteht lediglich nicht daraus, dass man genau planen könnte, wie lange die noch verbleibenden Arbeiten dauern werden. Stattdessen ist sie ein Ausgangswert für eine vorläufige Planung, die ständig anpassbar sein muss, für den Fall, dass das durch neue Erkenntnisse nötig wird. So eingesetzt kann die Velocity ein wertvolles Hilfsmittel sein, aber eben auch nur so.

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